Donnerstag, 13. Dezember 2012

401b - die Landkarten


Drittens
Die neuen geistigen Wege zum
wissenschaftlichen Forschen.
Die Neue Zeit in Krinaniath . . .
{früher Gondor}


B - die Landkarten
(A – Wissenschaften in "Mittelerde" – eine Idee,
findet ihr hier drunter in Post 401a)
 



Zu dieser langen Schrift über die Forschungen in "Mittel-Erde" werden hier die Karten zu sehen sein, doch ich bin noch nicht fertig



noch nicht, ist noch in Arbeit.

Freitag, 11. Juni 2010

401a - Wissenschaften in "Mittel-Erde" - eine Idee



Drittens
Die neuen geistigen Wege zum
wissenschaftlichen Forschen.
Die Neue Zeit in Krinaniath . . .
(früher Gondor)



A – Wissenschaften in "Mittelerde" – eine Idee
(B – die Landkarten sind oben, im Post 401b) =



Diese lange Schrift über die Forschungen in "Mittel-Erde" ist noch sehr in Arbeit, ich weiß nicht, wann sie fertig sein wird. Ich vermute, daß ich sie im Leben nicht mehr beenden kann. Es bleibt ein fortlaufender Prozess. Ein paar meiner wissenschaftlichen Ideen seien dennoch schon mitgeteilt. Besonders die geistigen Vorbereitungen zum Forschen in Mittel-Erde. Das ist meistens auch eine Kritik an meinem eigenen wissenschaftlichen Arbeiten vor Jahrzehnten.


den Überblick aller meiner Blogs findet ihr hier:
http://mein-abenteuer-mein-leben75.blogspot.com/
 

den Überblick über alle Geroner-Blogs gibt´s hier:
http://geroner-aestuar.blogspot.com/


In den folgenden Blogs findet ihr die Fortsetzungen, so weit sie schon bestehen:
402 – http://geroner-zwei.blogspot.com/
403 – http://geroner-drei.blogspot.com/
404 – http://geroner-vier.blogspot.com/
405 – http://geroner-fuenf.blogspot.com/


Aryaman Stefan am 12.Februar 2010, 19.März 2010,
12.Dezember 2012
(Dr. Stefan Aryaman Wellershaus,
Ma.Aryafrau@gmx.de)



Die Karte: sehr verändert nach TOLKIEN :

- Bild  B 1a) -


... und hier mit den geographischen Namen:- Bild B 1b) -

Diese Karte umschreibt das Land, in dem die Geroner-Geschichte spielen wird, "Mittelerde" bei TOLKIEN, "Aklanpa" bei mir.
Die Skala am unteren Rand kennzeichnet 4 x 10 lomische Meilen (= nach pavischen Normen). Das Himmelsrichtungs-Kreuz ist genordet.
Dunkel gezeichnet die Gebirge.
Unser Weg ist gepunktet dargestellt, doch  ist er auf der
oberen Karte richtiger eingezeichnet.
Ich will diese Karte noch genauer darstellen.





Die Neue Zeit in Krinaniath (früher Gondor)

– die Welt entdecken –

am Anfang erforschen wir den Geroner-Fluß (früher Anduin), und dann weiteres



von Aryaman (26. August. 2oo2 bis Februar 2013)

Vorwort: Diese Geschichte spielt um das Mündungsgebiet des Anduin-Flusses, wie es mir (Aryaman) das erste Mal im Roman „Herr der Ringe“ von TOLKIEN begegnete. Da ich selbst Jahre lang in Mündungsgebieten von Flüssen, Ästuare genannt, geforscht hatte, fühlte ich mich durch TOLKIEN´s Bericht angeregt, den Anduin genauer zu beschreiben. Nun, TOLKIEN´s Anduin ist ebenso erfunden wie mein Geroner, doch das Thema Ästuar ist nicht erfunden sondern etwas sehr Reales in den Gebieten der Flussmündungen auf der ganzen Erde. Ein sehr akutes Thema wegen der Rolle als Schiffahrtsweg und wegen der zuehmenden Verschmutzungen.

Es reizte mich auch, mein früheres, eigenes Forschen sehr kritisch zu behandeln, und so habe ich neue Methoden des Forschens „erfunden“, die geistig erfolgreicher sein könnten als mein Forschen und Denken in den Jahren vom 32. bis 55. Lebensjahr in Bremerhaven. Doch sie müssen neu sein, damit die Ästuar-Forschung in Mittelerde (TOLKIEN´s Begriff, bei mir Aklanpa) möglich ist.

Der Ort des Geschehens ist fiktiv und schließt sich an an TOLKIEN´s Roman „Herr der Ringe” und noch direkter an Marthén´s Schrift über die Ghân an: „Bericht über Die Wilden Menschen von Rohan - vom Leben der Ghân im Weißen Gebirge - oder: Aspekte der wahren Lebenskunst“: http://ghaninrohaneins.blogspot.com/, aufgeschrieben von ARYAMAN - schließt sich an sowohl im Text als auch an die fiktiven geschichtlichen und geographischen Gegebenheiten.

Viele der in diesem Bericht aufgezeichneten Ästuar-Beobachtungen haben – erkenntnistheoretisch gesehen – den Status von Hypothesen, die noch geprüft werden müssten, wollte man meine Aussagen verifizieren oder falsifizieren. Sie sind nämlich nicht fiktiv sondern beruhen auf mehr oder weniger klaren Beobachtungen zwischen 1965 und 1987 in verschiedenen Ästuaren sowie auf Literaturangaben. Nur das geographische, gesellschaftliche, historische und kulturelle Umfeld ist fiktiv. Ich frage mich allerdings, ob dieses Prüfen und Beweisen in einem so chaotischen „System“ wie den Ästuaren einen Sinn macht über das geistvolle Spiel hinaus (ein geistvolles Spiel, wie wir es zum Beispiel in Hermann Hesse´s „Glasperlenspiel“ lesen).

In diesem Bericht bezeichnet der Begriff  KAPPA eine Überschrift (etwa wie Kapitel), gleich in welcher Ebene. KAPPA dient als „flag” zum Auffinden über das „Suchen”. Es gibt Ober-KAPPA, KAPPA, und Unter-KAPPA. Das wird später in der Gliederung zu erkennen sein.

Wenn du in einem meiner Texte nach einem Stichwort suchst, drücke Strg+F und gib das Wort ein.

Beachtet zu Copyrights: Da ich keinerlei Lizenzen zur Benutzung von TOLKIEN´s Ideen und Gedrucktem habe (und auch nicht vorhabe, sie zu erwerben), veröffentliche ich diesen Bericht nicht sondern verbreite ihn nur im eigenen Freundeskreis und über diese privaten Blogs, wodurch aber auch anderen die öffentliche Benutzung von TOLKIEN´s Ideen und Gedrucktem, die ich hier benutzt habe, nicht erlaubt ist.



Jetzt vor dem eigentlichen Beginn: In dieser Geschichte will ich beschreiben, wie vierhundert Jahre nach Beendigung des großen Krieges gegen den Schwarzen Fürsten Rou-undt {Sauron bei TOLKIEN}, der ja (vielleicht auch nur fast) vollständig besiegt wurde, im Reiche Krinaniath {Gondor bei TOLKIEN} die Kenntnisschaften erhoben wurden und Forscher erfolgreich Land und Meer erforschten und zu aller Nutzen – besonders aber zum Nutzen der Reichsleitung, das ist zum Nutzen des Königshauses – beschrieben. Es erwuchs somit in Krinaniath {Minas Tirith bei TOLKIEN} eine vollständig neue Art und Weise, wie die Menschen nun mit ihrem Geist und auch mit ihrer Umwelt in Beziehung stehen. Vollständig neu gegenüber den Jahrhunderten davor, aber auch ziemlich neu gegenüber dem wissenschaftlichen Tun in der Welt um das christliche Jahr 2000 in Europa.





Hier der Beginn:
KAPPA 1. Die Forscher, die Flüsse und das Meer vor der Erforschung

KAPPA 1.1 Erste Ausfahrt auf dem Geroner-Fließgewässer, 
                                                                  die Pläne


Die drei Balnkasen, das ist die Inselreihe vor der Mündung des großen Geroner-Flusses, liegen schon Stunden hinter uns, und rückwärts blickend sehe ich in der dunstigen Ferne nur noch den hohen und spitzen Berg auf der Hauptinsel der Balnkasen. Die weiten Sände der Geroner-Mündung haben wir auch schon hinter dem Horizont gelassen. Kein Wind liegt im Segel, nur die schwache Strömung des Geroner-Flußes treibt unser Schiff langsam südwärts durch die Bucht von Ghanorinth ins Meer. Die Stimmung auf dem Wasser ist bleiern und langweilig. Vor vier Tagen haben wir den Hafen von Abyssál verlassen – mit einer geheimen Aufgabe des Königs betraut: Unsere Aufgabe ist es, das Meer mit anderen Augen anzusehen und schließlich zu beschreiben, mit anderen Augen als es die Seeleute auf den Handelsschiffen sehen, selbst mit anderen Augen als die Fischer, die täglich draußen sind.


- B 2) -
die Balnkasen, oben Sicht von Norden, unten von Westen.


König Krinanon der Dritte, seit einem Jahr auf dem Thron in Ekro Krinath, der Hauptstadt des großen Reiches von Krinaniath, will die Kenntnis über die Meere ausweiten.

Schreckliche Seeungeheuer erwarten wir zu sehen – wie sie auf den alten Seekarten eingezeichnet sind. Und alte Wracks, die umher treiben und auf denen noch die Leichen der verhungerten und verdursteten Seeleute grausig verwesen, von Seevögeln zerrissen. Doch nichts dergleichen scheint es zu geben. Nur Scharen von kleinen blassen Segeln schwimmen auf dem Wasser, nicht einmal so hoch wie ein kleiner Finger. Ich vermute schon, daß es sich um eine Flotte von Schiffen winzig-kleiner Menschen handelt, von denen wir noch nie gehört haben. Die Segel sind schneller als wir, es scheint, sie haben besseren Wind – doch verstehen kann ich das nicht.



- Bild B 3) -
ein kleines, blasses Segel, von Ermini gemalt.


Ich lasse mir ein paar von den kleinen Segeln in einem Eimer mit Wasser schöpfen, und siehe: das blaßblaue Segel ist über dem Wasser, darunter aber – im Wasser – ist ein dunkelblaues Gewirr von kleinen Fäden, die sich wie in suchender Verzweiflung hin und her wenden. Was das ist, erkenne ich nicht (F33). Und so finden wir noch viele wunderliche Dinge auf dem Wasser trebend, doch ebenso Blätter und Schilfhalme, Baumstämme und anderes, das der Fluß gewiß vom Land mitgebracht hat und das nun verloren in den Weiten des Großen Meeres treibt. Gelegentlich sitzt ein einsamer Vogel auf so einem Treibholz, es scheint, er sehnt sich nach seinesgleichen oder nach Land unter seinen Füßen.

Noch ein paar Tage schickt uns die Strömung des Geroner in das Meer hinaus und wir wissen schon nicht mehr, wie wir unseren Hafen Abyssál wieder erreichen werden, denn kein Wind füllt das Segel. Doch am sechsten Tag treibt uns ein heftiger Wind – unter dem blaßblauen sonnigen Himmel – von See wieder in die Geroner-Mündung zurück, das Schiff voll geladen mit allerlei Dingen, die wir am Meeresspiegel aufgesammelt haben, doch das meiste verfault unter der Sonne so schnell, daß uns bei der Ankunft in Abyssál nur noch eine stinkende schleimige Masse bleibt. Wir können das Gesehene dem verwunderten König, der uns erwartet, nur noch beschreiben doch nicht mehr vorzeigen. Die Königin Malawi steht daneben und meint,

>>das ist doch kein Meeres-Leben, das ist ja alles verfault. Ich werde
darüber nachdenken, was ihr anders machen sollt.

Das war der Beginn eines großen Vorhabens von Malawi und Krinanon, unserem verehrten Königspaar, das uns nun beauftragte, das Meer ausführlich zu beschreiben. Doch bevor Krinanon uns wieder hinausschickte, sollten wir genau darüber nachdenken, WIE wir das, was er FORSCHEN nannte, ausführen wollen. Er erwartete, daß wir ein neues Denken entwickeln, daß wir ein geeignetes Schiff bauen, und daß wir bedächten, wie wir die gesammelten Gegenstände zurückbrächten, ohne daß sie verfaulten, und daß wir das Forschen und das Anwenden des Erforschten zu aller Vorteil erlernen. Wir sollten nicht früher als in zwei Jahren – vielleicht noch später – mit der nächsten Ausfahrt beginnen und sind nun von allen anderen Aufgaben an der Königlichen Seefahrer-Akademie befreit, die uns bis zu diesem Tag als Lehrer und Handwerker beschäftigt hatte.

Wir sind fünf Männer, die in der Akademie eingestellt sind. Diese Akademie ist schon vor hunderten von Jahren in der Hafenstadt Abyssál (die früher Pelagia hieß) gebaut worden und dient dazu, für die Seefahrer geeignete Seekarten zu zeichnen und die Seefahrer in den Kenntnissen der fremden Länder und Meere und der Schifffahrt zu unterrichten.

Wir fünf gelehrte Männer sind der Ehrwürdige GONDAS, schon alt und befahren in den Meeren als Schiffsführer, und wir vier jüngeren: GONFALAS, Gondas´ Sohn, MAINOT, PARIMAN und ich, ARYAMAN, genauer Aryaman P., um keine Verwechslung mit dem alten Autor Aryaman hervorzurufen, der vor 400 Jahren die Berichte von Marthén über die Ghân herausgegeben hat. Ich, Aryaman P. schreibe im Auftrag aller diesen Bericht über unsere Forschungen.

Fünf Wochen lang saßen wir jeden Abend zusammen in Gondas´ Haus am brennenden Kamin und grübelten und diskutierten über unsere Aufgabe. Sie war so schwierig, daß wir schon aufgeben wollten. Heute wissen wir, daß uns der Klarheit des Denkens mangelte. Unser Denken wirrte hier und dahin, immer neue Gedanken kamen in die quere und hielten uns fest, und wir wußten nicht, wie wir diese unbrauchbaren Gedanken wieder los werden konnten.

Doch an einem klaren Morgen, nach einer hellen Sternennacht rief Gondas uns eifrig zusammen und eröffnete uns einen neuen Plan, der ihm in dieser Nacht gekommen war. Er hatte am Ufer des Geroner-Flusses gelegen und den von Sternen wimmelnden Himmel angesehen, er erfuhr in einer „Vision“ (Glossar G), daß sein Geist sich aus seinem Körper löste und weit in die Sternenschar hinaus flog, immer weiter weg vom Ufer des Flusses, immer weiter weg von der Erde, tief in die riesige Schar der Sterne. Sein Geist wurde so kühl und klar wie es da oben ist, und ein Gedanke kam ihm, der blieb und zum ersten Werkzeug unseres Forschens wurde. Gondas sagte:

>>Wir werden uns heute nachmittag ein kleines Boot nehmen und den
Strom hinuntersegeln bis wir an die Küste des Meeres
gelangen. Wir werden dort anlegen, das Boot hoch an Land hinauf
ziehen und dort eine ungewisse Zeit bleiben. Alles andere
wird sich dann ergeben.

Wie fragen Gondas, woher die Vision käme, er schweigt lächelnd und weist mit einer Hand nach oben, noch immer lächelnd – eben DAS ist die Vision, sagt er.

Und nun treiben und segeln wir stromabwärts, nach drei Tagen umsegeln wir das Horn des Geroner, und am nächsten frühen Morgen kommen wir am Meeresstrand an, landen nahe einer alten Ruine. Als Schatten vor der aufgehenden Sonne sehen wir hinter den dunstigen Schilfwäldern die Inselreihe der Balnkasen mit dem hohen spitzen Berg wieder. Gondas rät uns, das Boot an Land zu ziehen, am Wasser zu sitzen und zu hören, zu sehen und zu riechen, was das Große Meer uns sagen kann. Eine lange Zeit sitzen wir so – ein wenig ungeduldig, doch Gondas´ Authorität hält uns auf unseren Plätzen fest. Und nun sagt Gondas langsam,

>>ich höre, wie die leise Bewegung des Meeres an die Strandkiesel
rührt und sie leicht aneinander rollt.

>>Ich rieche den Geruch des Meeres, je und je unterbrochen vom
Geruch einer verwesenden Alge am Strand oder
eines toten Krebses, den die Wellen herantragen.

>>Ich sehe die unendliche Weite, aus der die Wellen herankommen
– ausgedehnt bis an den Horizont und dahinter.

>>So wollen wir sitzen bleiben und uns innerlich dem Meer nähern,
gelegentlich steigen wir ins Wasser und lassen unsere
Körper vom Meerwasser tragen und hin und her
schaukeln, schwimmen hinaus und tauchen. Hier ist ein
Tauchglas (F4), wie ich es vor vielen Jahren von einem
Fischer von den östlichen Stränden bekommen habe.

>>Wir beobachten das Meer wie es da unten ist, beobachten
das Meer wie es sich IN UNS immer mehr ausbreitet
– mit all seinen Kieseln, den Tieren und Algen. Wir werden zum
Meer, wir sind das Meer. Innen ist das Meer ebenso
wie außen, wir sind das Meer.


- Bild B4) -
Strand-Ansicht, angeschwemmtes Strandgut


Das soll nun die zweite Grundlage des Forschens werden: wir erfahren das Meer in unseren Gefühlen, wir erforschen das Meer draußen – und IN uns! Das Meer bin ich, ich bin das Meer. Gondas befiehlt, daß wir einige Tage hier bleiben und mit diesem Erfahren fortfahren.

Doch lange Gespräche kommen auf, und da sind große Schwierigkeiten, sich von dem Nur-Denken zu lösen. Wir jedenfalls haben Schwierigkeiten, uns zu lösen. Wir haben nämlich gelernt – in den Schulen –, alle Fragen immer wieder über das Denken zu beantworten. Doch Gondas meint, das Meer könnten wir nur verstehen, wenn wir uns nicht allein am Denken festhalten. Wir Jüngeren widersprechen, denn wir haben ja lange Jahre gehört, daß Denken die einzige Methode zum Erkennen der Welt ist. Gondas verweist aber auf das ERFAHREN. Das meiste des Erfahrenen nistet sich in unserem Gehirn ein, ohne daß wir es merken. Wir wissen meistens nicht, was wir erfahren haben. Viel mehr als uns bewußt ist haben wir erfahren und im Gehirn aufgehoben. Gondas meint, das Wissen allein reicht nicht, wir müssen uns für dieses ERFAHREN öffnen. Das Wissen allein ist zu wenig, zu arm.

Unsere Gruppe droht hieran zu zerbrechen. Gondas fühlt sich unverstanden und einsam und leidet. Wir Jüngeren sind verzweifelt, weil wir keinen Weg finden, wie wir das Meer erforschen könnten, denn tatsächlich verstehen wir nicht, was Gondas meint.

Da wandert eines Tages ein dunkelhäutiger Mann mit langen schwarzen Haaren und in eine lange rote Robe gekleidet am Strand entlang. Er sieht uns miteinander aufgeregt reden und setzt sich dazu. Der Rote sagt selten was, doch schließlich legt er uns nahe, für ein paar Wochen in die Provinz des Alan Pavani zu den Pavitrani-Tempeln zu wandern und dort die Diskussion fortzuführen. Mehr sagt er nicht dazu und geht weiter. Wir sehen ihm nach und sehen, wie er in einer Art Nebel verschwindet – obwohl die Luft gerade ganz klar ist. Seine Worte mögen ein guter Hinweis sein, und wir wandern bald los.

Einige erklärende Zwischenbemerkungen von mir:

>>Seit dem Sieg über Rou-undt {Sauron} vor vierhundert Jahren
herrscht großer Frieden über Aklanpa {Mittelerde}.
Das Reich Krinaniath {Gondor} hat nun eine
große und schöne Macht gewonnen und ist das stärkste
Land in Aklanpa. Die Nachfolger auf dem Thron des Aragorn,
die Könige mit Namen Krinanon zeichnen sich durch Güte,
Weisheit, Kraft, Klarheit und Klugheit aus.
Sie sind nicht gierig mehr nach Macht, doch sie streben
zu größerer Vollkommenheit ihrer selbst, ihrer
Untertanen und des ganzen Reiches.
So ziehen sie immer weitere Völker an,
die sich anschließen.

Dazu habe ich sagen gehört:

die Hände eines Königs sind die Hände eines Heilers: das verstehen wir unter einem gerechten König
(F 61 im Glossar F)

>>Auch das Volk der Pavinen {Lameden} lebt nun wieder in Frieden und
Einverständnis mit den krinischen Königen. In ihrem
Land, dem Pavion {Lamedon}, hatten die Pavinen
schon seit Hunderten von Jahren eine eigene und
eigenartige Lebensweise errichtet, die mit sehr großer
persönlicher Freiheit verbunden ist. Ihr Zentrum
sind die Tempel, die sie die Pavitrani nennen,
und die auf dem Berg Pavani liegen; und die Menschen,
die für die Tempel verantwortlich sind, heißen die Teribaten
– der Rote, der uns am Strand fand, ist ein Teribate, erkennbar
an seiner roten Kleidung und einer Holzperlenkette um
den Hals.
(Notizen: Pavitrani)

>>In den Jahrhunderten nach dem Sieg über den Herrn der Ringe gab
es nicht nur die großen Zusammenschlüsse der Völker
und Staaten des Aklanpa {Mittelerde} unter der
Krone des Reiches von Krinaniath {Gondor} sondern
auch erhebliche Neuordnung der gesamten Struktur:
die geographischen Namen wurden verändert, ja
selbst eine verfeinerte Landesvermessung ergab bessere
Kenntnisse des Landes, ein neues Kartenwerk
und neue Verkehrswege. Die diesem Bericht
beigegebenen Karten stammen aus diesen Erkenntnissen
und sind an vielen Stellen anders und genauer als
die alten in Marthén´s Werk über die Ghân,
und sie sind noch verschiedener
von Tolkien´s Karten.



ψ

KAPPA 1.2 Der Weg nach Pavitrani

Ohne weitere Worte ziehen wir also das Boot ganz hoch an Land, drehen es um und vertäuen es da. Wir legen eine Tafel drunter, auf die wir schreiben, daß das Boot nehmen mag, wer will. Und dann wandern wir los. Wir müssen die Sterne zu Hilfe nehmen, denn keiner von uns ist je in dieser Gegend gewandert, und gehen etwa westwärts. Schlimm ist es, daß weit entlang der Küsten ausgedehnte Schilfwälder unsere Wege hemmen. Sie sind schwer zu durchwandern, viele Sümpfe gibt es, Mücken, Blutegel und andere unangenehme Tiere greifen uns an. Das Wasser ist brackig und nur zu trinken, wo eine Quelle durch den Salzsumpf nach oben dringt, was wir nur an wenigen Tagen finden. Wir haben geringe Nahrung mit und finden nur wenige Baumfrüchte, denn hier sind Bäume selten.

Wir wollen uns ausziehen, weil alles klebt, und doch trauen wir uns nicht wegen der stechenden Insekten. Das Gehen ist sehr mühsam, nur Sümpfe und scharfe Schilfblätter. Weit hinaus sehen können wir nicht, weil der Schilf weit höher steht als unsere Augen, und wenn wir aufeinander steigen um einen weiteren Blick zu bekommen, sinkt der untere im Schlamm ein. Nachts können wir nicht schlafen, da wir meistens keinen trockenen Boden finden. Wenn nachts aber Wolken am Himmel sind, können wir nicht einmal die Sterne als Richtungsweiser sehen, und der Mond – dessen heller Schein durch die Wolken zu sehen wäre und die Richtung angeben würde – scheint erst am Morgen: Nach-Neumond-Tage! Wir müssen über Stunden stehen bleiben, doch manchmal finden wir einen im Winter angeschwemmten Baumstamm, auf den wir uns setzen.

Über viele Tage sehen wir keinen Menschen. Nur drei, vier mal finden wir auf den wenigen Sanddünen einen Fruchtbaum, von denen wir essen und ein wenig den Durst lindern. Wenn wir am Nachmittag an eine solche Insel kommen, bleiben wir über Nacht – es ist wie die Einladung einer Pilgerherberge. Fast über der ganzen Wanderung brennt eine heiße Sommersonne, keine Schatten bewahren uns davor. Über uns kreisen Geier und große Raubmöven, wir haben Angst, daß sie schon auf billige Beute lauern, nämlich unsere Leichen. So quälen wir uns langsam durch diese Sümpfe.



Endlich – nach zehn Meilen mühsamen Wegs (im Nachhinein auf Karten in gerader Linie gemessen, die wir jedoch nie gegangen sind, sondern, in vielen Windungen und Abwegen, gewiß eher fünfundzwanzig Meilen) – gelangen wir in etwas höher gelegene Wälder an den südlichen Ausläufern der Alan Kala-Ben-Hügel, in denen uns blühende und duftende Bäume und Büsche erfreuen, manche tragen köstliche Früchte, von denen wir so viele mitnehmen, wie wir können, doch sie verfaulen ehe wir den Vorrat essen können. Sonst ist das Leben auch hier ungewohnt und schwer: Wieder fallen Blutegel über uns her, und wir haben viel zu tun, um sie abzulösen. Es ist eine stark rote Art, wir können sie zwar leicht sehen, wenn sie an der Haut hängen, doch wir bekommen sie kaum ab gerissen. Der Waldboden ist dicht mit dornigen Ranken bewachsen, wir müssen uns den Weg frei schneiden. Wir fürchten uns auch vor großen Raubkatzen, doch wir begegnen keiner. Statt dessen versuchen in den Dickichten immer wieder schnelle Schildkröten, die doppelte Handgröße haben, sich in unseren Füßen fest zu beißen, sie wollen Blut saugen. Alle diese Dinge schärfen unsere Wachsamkeit und Aufmerksamkeit – vielleicht gute Voraussetzungen für das Forschen.

Der Ehrwürdige Gondas nimmt das alles nicht sonderlich ernst, er lässt die Blutegel meistens sitzen bis sie von selbst abfallen, dann blutet die Bißwunde nicht, sagt er und sucht gelassen und in großer Ruhe den einfachsten Weg durch das Rankengestrüpp. Das Klima in diesen Wäldern ist heiß, und die Luft bewegt sich nicht, es weht kaum ein Wind, wir schwitzen, stinken und ziehen hier doch alle Kleider aus. Wir Jüngeren haben viel mit unserer Ungeduld zu kämpfen, es gibt viel Ärger und auch Streit. Wir sind gereizt und fragen uns, wofür wir das alles tun und erleiden.

Wir sind nun im südlichen Hügelland des Alan Kala-Ben. Nach zwei Tagen finden wir einen Pfad, dem wir begierig folgen. Es kommen weitere Pfade dazu. Sie vereinigen sich und führen zu einer großen Lichtung im Wald, dort stehen in Gärten viele Obstbäume und ein paar Hütten. Braune Menschen arbeiten in den Gärten – wie der Rote damals am Strand sehen sie aus, doch sie tragen keine roten Gewänder sondern nur ein kleines Tuch um die Hüften geknotet. Mit Mühe finden wir eine gemeinsame Sprache mit diesen freundlichen Leuten. Sie laden uns ein in ihre Hütten. Doch wir bleiben und schlafen lieber draußen, denn in den Hütten ist die Luft so stickig – und wir sind unsicher, ob uns da nicht wieder Parasiten anfallen würden wie am Ghanorinth.


- Bild B 5) - das Walddorf am Ghanorinth


Abends kommen alle Dorfleute an einigen kleinen Feuern – gegen die Mücken! – zusammen. Die Feuer duften nach scharfen Kräutern, die Leute reiben sich ganz mit der Asche ein und sehen nun fast weiß aus – gegen die Mücken! sagen sie wieder. Einige musizieren und singen und alle tanzen in gemessenen Schritten umher, schwingen die Arme hoch in der Luft und juchzen dazu. Wir sitzen verlegen daneben, nur Gondas ist so frei, mit zu tanzen, und Gonfalas versucht ein paar Schritte, zieht sich dann wieder zurück.




Nach zwei Tagen wandern wir weiter westwärts durch neue weite Schilfwälder. Die Dorfleute versorgten uns mit Wasserbeuteln und klarem Wasser, doch das Wasser ist bald verbraucht und wir haben viel Durst. Ein paar junge Leute gehen noch eine Zeit lang mit und weisen uns einen brauchbaren Weg. In der Ferne sehen wir das Alan Pavani als dunklen Schatten liegen, doch noch liegt uns ein breites Gewässer und stehen andere Berge im Weg.

Wir kommen an dieses große Gewässer, es muß der Belgur-Fluß sein, der, in einen langen See (F5), den Belgur-See übergeht, an dessen bewaldetem Ufer wir nun lagern, und der weit seewärts ins Meer mündet.


- Bild B6) - Belgur-See vom Ufer


Da liegt nun behäbig dieser breite Arm des Belgur vor uns, den wir queren müssen. Wir BEOBACHTEN das Wasser lange (Bild B7), setzen uns dazu auf Bäume, um besseren Blick zu haben. Mal fließt es nach rechts, mal nach links, die Richtung wechselt vier mal am Tag. Das sind Ebbe und Flut – Flut nach rechts, Ebbe nach links –, die wir auch aus Abyssál schon kennen, und die jedem Seefahrer bewußt sind. Wenn die Flut-Strömung sich beendet hat, steht die Wasseroberfläche zwei Handspannen höher als am Ende der Ebbe-Strömung. Doch die Ebbe-Strömung läuft etwas länger als die Flut-Strömung.

Eines aber muß ich noch etwas genauer beschreiben: Wenn die Strömung zum Meer hin, die Ebbe-Strömung, schon begonnen hat, fließt das Wasser am Ufer noch flußwärts und wendet sich erst etwas später. Und mit der Flutströmung ist es fast ebenso. Das ist wichtig zu erkennen, damit wir später beim Übersetzen über den Belgur-See die Strömungen so gut wie möglich ausnutzten.

Das Wasser ist hier klar blau und trägt viel grünes Laub und Baumstämme mit sich. Oft kommen schwimmende Inseln vorüber, aus vielen gestürzten Bäumen wirr verflochten, auf denen sich wieder Pflanzen niedergelassen haben. Manche dieser Pflanzen blühen in großen roten Blumen, die wir weit vom Ufer aus sehen.

Es ist immer noch warm-feucht, doch hier weht etwas Wind. Er weht meistens gegen die Strömung von Ebbe oder Flut. Wir können am Ufer Fische und Krebse fangen, wollen sie essen und wollen mit dieser Besonderheit ein kleines Fest feiern.

Ein großes, schlankes Pelz-Tier erscheint, eine Art Bär, sein Rücken ist halb so hoch wie mein Körper. Es ist sehr friedlich und ich kann über seinen Rücken streichen. Es fasst mit seiner langen Schnauze vorsichtig unsere Hände und zieht uns, als ob es uns etwas zeigen will. Nach kurzer Zeit, weiter im Wald, zeigt es uns tatsächlich einen Baum, aus dessen Borke an einer Wunde eine stark harzig und obstig duftende Flüssigkeit rinnt. Das Tier leckt voller Genuß daran, und wir fangen einiges davon in einem der Wasserbeutel auf, die uns die dunklen Waldleute mitgegeben hatten. Es entwickelt sich bald in ein berauschendes Getränk, das Vertrauen erweckt, es passt zu unserem Fest. Diese Nacht singen und tanzen wir und vergessen die Mühen der Sümpfe, aber auch das Denken und Reden von den Kenntnisschaften. Nur eines fehlt: wir wünschen uns, daß Frauen dabei wären – doch wir wissen, daß Frauen eben nicht zur Kenntnisschaft passen und auch nicht zu solchen schwierigen Urwald-Wanderungen. Das Tier aber liegt in einer Ecke und schläft oder sieht still zu uns närrischen Tänzern hinüber.

- Bild B7) - Pelztier

Am Morgen nach dem Fest sehen wir bei Sonnenaufgang ein wunderliches Bild: Es regnet, wir sehen auf den Belgur-See, und da sind im Westen drei oder vier Regenbögen, die sich überkreuzen. Ihre Farben sind stark mit dem Rot der aufgehenden Sonne überstrahlt. Die Bögen wandern, sie ändern die Winkel zueinander und dergleichen Eigentümlichkeiten mehr. Da kommt eine Frau vorüber, die einen langen Stock schwingt, und wie sie den Stock zum Boden senkt, ist da nur noch ein einziger Regenbogen. Die Frau trägt lange, sehr graue Kleidung und einen spitzen grauen Hut. Sie sagt, sie sei Zauberin – eine Iránne – und gehöre zu der Gruppe der Neuen Iránnen, die erst nach dem Großen Krieg geweiht wurden. Wir kommen ins Gespräch, und wir berichten von unseren Plänen und bitten sie, uns bei Gelegenheit zu helfen.

Einen Rat möchte sie uns für unsere Forschung geben:

>>Ob dir etwas gelingt, hängt von der Quelle deines Denkens und
Beobachtens ab:

>>Entweder kommt dein Denken und dein Beobachten aus dem
Wirrwarr der täglichen Geschäftigkeit, aus der
Unruhe deines Geistes. Und dann kann es nicht
gelingen. Denn das Verharren in der täglichen
Geschäftigkeit bringt nämlich Nicht-Gelingen.

>>Oder aber dein Denken und dein Beobachten strahlt aus
dir heraus, innen aus deiner Stille. Dann gehst
du einen klaren, offenen, achtsamen Weg mit
deinem Geist – und Gelingen kommt. Auf
diesem Weg bist du liebevoll zur Welt.

>>Deswegen nehmt euch so viel Zeit, daß ihr die Stille in euch pflegt,
jeden Tag eine Stunde oder mehr. Dann werdet ihr
nie hastig, auch nicht im Geist. Ihr bleibt in eurer
inneren Ruhe und Gelassenheit.

>>Zum Beispiel der Seemann auf dem Schiff: wenn der unerwartete
Sturm plötzlich ausbricht, wenn es schnell etwas
zur Rettung des Schiffes und der Leute zu tun gibt,
darf er nie hastig werden, aber schnell und besonnen
und richtig in seinen Taten. Die Überlegenheit
und die Übersicht müssen bestehen bleiben. Wenn diese
Eigenschaften nicht bestehen bleiben, geht das Schiff unter.

>>Das gilt für jede Tätigkeit, bei der du Erfolg haben willst, auch
bei der Forschung. Kenntnisschaftler müssen in sich
stille und sehr klare und wache Leute sein, die mit weit
offenen Augen nach außen und nach innen sehen.

Sie schwingt zum Abschied noch mal ihren Zauberstock, und es erscheint ein großer Schwarm von weißen Reihern, die von der noch roten Sonne beschienen werden – im Hintergrund eine schwarze Wolke vor tiefblauem Himmel. Wir sind tief berührt von diesem Schauspiel. Die Iránne erhebt sich in die Luft und fliegt als weißer Reiher mit den anderen davon. Ihr Stock fliegt runter ins Wasser und vergeht dort mit einem dampfenden Zischen.

Überall fliegen Vögel, oder sie sitzen auf den treibenden Holzstücken. Rote, hellgrüne und weiße Reiher stehen und stechen gelegentlich mit dem Schnabel ins Wasser und fangen ein Tier, eine kleine Seeschlange, einen Fisch oder einen Krebs. Schwarze Vögel mit einer glänzend weißen Haube auf dem Kopf (F6) schwimmen auf dem Wasser, halten den Kopf aber immer wieder ins Wasser bis sie etwas sehen, was sie fangen wollen, tauchen flink und kommen mit einem Fisch im Schnabel wieder nach oben. Wir überlegen, man müsste ihnen einen engen Ring um den Hals legen, so daß sie den Fisch nicht verschlingen können, und ihnen den Fisch abnehmen. Später höre ich, daß einige Fischerdörfer in dieser Gegend so verfahren (F7). Doch hier sind keine Menschen, obwohl es ein paar Pfade gibt. Aber große Echsen liegen am Ufer, und wir fürchten uns vor ihnen.


Wie kommen wir auf die andere Seite? Wollen wir etwas er-DENKEN oder er-SPÜREN? Da ist nun das erste Mal während unserer Tour eine solche Entscheidung gefragt. Wieder gibt es lange Diskussionen bis schließlich das Denken dem Fühlen vorgezogen wird. Also ziehen wir uns ein paar vorüber schwimmende Baumstämme zusammen und binden sie mit Lianen zusammen zu einem Floß. Lange Stangen wollen wir zum Staken nehmen, denn der Flußarm scheint flach zu sein. Nach zwei Tagen Arbeit stoßen wir bei niedrigstem Wasserstand ab – niedrigster Wasserstand, damit wir nicht gleich ins Meer hinaus getrieben werden sondern bei beginnender Flut erstmal flußaufwärts fahren. Denn eins haben wir schon gesehen: die Strömung meerwärts (flußabwärts) dauert länger und das Wasser treibt weiter ins Meer als zurück in den Fluß – natürlich, denn auch der Fluß fließt ja, nicht nur Ebbe und Flut des Meeres. Besonders in der Mitte des Belgur-Sees ist die meerwärts gerichtete Strömung stark und deshalb gefährlich für uns.

Die meiste Zeit also fährt unser Floß nicht hinüber zur anderen Seite sondern wird abwechselnd flußaufwärts und meerwärts getrieben, denn unsere Stangen erreichen oft den Grund nicht und die Strömungen haben das Sagen, unser Floß ist ein Spielzeug der Strömungen geworden, ja, oft dreht es sich in den Strömungswirbeln wie jedes Stück Holz, das hier treibt.

Wir werden schließlich doch so weit in die Meeresbucht hinaus getrieben, daß das östliche Ufer verschwindet. Angst kommt auf, daß wir ganz ins Meer verloren gehen. Doch unsere Geschichte geht an dieser Stelle gut aus und nach vier Tagen wird das Wasser flacher und wir können ans westliche Ufer der Bucht von Ghânorinth staken, allerdings bereits an der Meeresküste, nicht mehr am Ufer des Belgur-Sees. Das Wasser ist hier salzig, doch auch hier steht am Ufer viel Schilf. Wir vertäuen das Floß an einem im Schilf liegenden riesigen Stein und gehen „an Land”, das nur aus Schilfsümpfen besteht. Von einem kleinen Hügel aus sind Wald und Berge schon zu sehen, was uns Mut macht.

- Bild B8) - das Floß

Der Schilfgürtel ist aber nicht groß, und nach ein paar Stunden Wanderns geht er über in einen trockenen Wald und bald darauf in weite Wiesen, auf denen Herden von wilden Büffeln weiden. Wir wissen, diese Tiere sind freundlich, doch mit ihnen ziehen oft Rudel von Wölfen, denen wir nicht begegnen möchten. Wir wandern nun nordostwärts, an der Südostseite einer Bergkette entlang – die Alan Nananian genannt wird –, die wir kreuzen wollen, denn dahinter liegt das Alan Pavani, wo die Pavitrani liegen. Hier sehen wir ab und zu Menschen, alle sind so wie die braunen Waldleute, die wir vor einiger Zeit getroffen hatten. Sie wandern mit den Büffelherden mit und melken sie, raufen ihnen Wolle aus, die sie verspinnen und zu Kleidung verfilzen, und töten gelegentlich ein Tier um es zu essen und das Leder zu bekommen.

Doch da sitzt einmal ein kleiner Mann am Weg, er ist kaum größer als unsere halbe Größe, so wie bei uns ein 12-jähriges Kind, und er hat einen langen Bart und eine rote Zipfelmütze auf, er ist keiner dieser braunen Waldleute sondern gehört zu den Zwergen. Freundlich grüßt er uns und fragt auf krinisch – das ist unsere Sprache –, ob wir ihn nicht in seiner Höhle besuchen wollten, sie ist ein Paradies, sagt er. Wir möchten mal wieder einen Tag ruhen und sagen zu. Er führt uns einen schmalen Pfad durch´s Gebüsch, der sich bald wieder weitet. Nun blühen bunte Blumen an den Zweigen, die uns zunicken und Mut machen – denn ein wenig besorgt sind wir schon: wo werden wir hingeführt? Nach wohl einer Stunde findet sich eine kleine Tür in einem hohen Felsen, die offen steht. Hier wohnt der Zwerg – nein hier wohnen viele Zwerge. Viele von ihnen genießen vor der Höhle die Sonne, sehen uns still und aufmerksam an und sprechen in ihrer Sprache über uns. Eine schöne Gesellschaft von kleinen, süß aussehenden Menschlein.

Der Felsen gehört zum mittleren Teil des Alan Nananian (Alan ist Gebirge), das hauptsächlich aus steilen kahlen Felsen besteht, wir sahen sie schon vor ein paar Tagen im Norden und Westen von uns liegen. An vielen Stellen sind diese spitzen grauen Felsen durch steile Schluchten durchbrochen, und eine Tagesreise weiter nördlich zwängt sich ein kleiner Fluß durch so eine Schlucht und fließt zum Meer hinter uns. Wir hatten seine grauslich steile Schlucht schon vom Floß aus gesehen, als uns die Strömungen schon mal ganz dicht ans Land getrieben hatten, doch die Strömungen aus diesem Flusses hatten uns wieder aufs Meer geworfen.

Vorsichtig gehen wir nun durch die Tür, erst ist es dunkel, doch nach ein paar Schritten weitet sich der Raum zu einer hohen Halle und wird hinten wieder hell, wir sind in einer anderen Welt, scheint uns.

Dort hinten ist ein Felsenloch, das von herabhängenden Lianen umkränzt ist, wir gehen näher und sehen nun tief hinab in ein langes, helles und grünes Tal, und wir staunen über diese schöne Landschaft. Hohe Felsen stehen seitwärts, aus denen sich Wasserfälle herab gießen. Vollendet schöne Tannen stehen in unserer Nähe und am Hang hinunter zur Talsohle. Braun-weiß gefleckte und bunte Häher-Vögel fliegen umher. Unten ist ein langgestreckter See, der weit, weit hinten zwischen den enger zusammengerückten Felsen am hinteren Ende des Tales in einen schlängelnden Fluß einmündet. Große Greifvögel kreisen unter uns und stürzen gelegentlich hinab, sich – wenn es glückt – einen Felsenbock, ein Reh oder einen Hasen ergreifend.


- Bild B 9) - das Felsloch


Unklar bleibt uns, wieso es hier so tief hinunter gehen kann, obwohl wir bisher doch nur wenig über die Meereshöhe hinauf gestiegen waren. Ist das ein Zauberspiel dieser Zwerge? Wir sind bereits auf der anderen Seite des Nananian, über uns liegt die Wasserscheide ganz im Süden des Berges, hoch über uns in den scharfkantigen Felsen – doch das kann nicht der Grund sein. Wir entdecken, daß die einfachen Denkweisen, die wir aus Abyssál gewohnt sind, hier nicht mehr helfen.

Wird uns etwas vorgegaukelt? Ist das da unten eine Fantasiewelt? Oder gibt es diese Landschaft wirklich? Die Sonne scheint durch ein Wolkenloch in einem scharfen Strahl bis auf den Boden des Tales und beleuchtet Einzelheiten, die wir vorher nicht erkannten.

Wir denken nach und merken, daß wir nordwärts sehen. Sehr weit hinter den Bergen, die das Tal am Ende begrenzen, müsste das Alan Pavani liegen.

Die Zwerge führen uns wieder hinein in ihren Berg und zeigen uns eine weitere Halle, die hoch oben durch ein paar kleine Löcher von außen beleuchtet ist: gerade scheint die Sonne hindurch und wo sie hin scheint, schimmert es von vielen Kristallen, die in der schwarzen Felswand stecken. Die Zwerge lenken mit Handspiegeln einen der Sonnenstrahlen hier und da hin. Aus den Kristallen heraus scheint das Licht noch nach, wenn die Zwerge bereits den Sonnenstrahl mit ihren Spiegeln weiter wandern lassen. Nach einiger Zeit ist die Halle angefüllt von bunten Strahlungen von den Wänden – ein physikalisches Schauspiel von großem Glanz und großer Besonderheit. Langsam verlöschen die Kristall-Lichter wieder.

Die wundersamen Beobachtungen dieser Reise werden uns in der Zukunft immer wieder beschäftigen, wir werden nach Antworten auf unsere Fragen suchen, wie das denn alles entstehen kann, wir werden zu deuten versuchen – bis wir schließlich lernen werden, daß unsere junge Kenntnisschaft dazu nicht taugt, ja sie ist nicht einmal dazu gemacht, nur einfach zu deuten. Was ist schon Deuten? Ist es, die Natur in unsere Sprache hinein zu zwängen?

Wie denken die Leute in Abyssál über´s Deuten? Diese Stadt liegt für uns nun so weit weg. Unsere Leute dort in der Akademie wollen ja „wissen“, was draußen, zum Beispiel im „Estho“, so los ist. Zur Erinnerung: „Estho“ nennen unsere Fischer das meerwärtige Ende eines Flusses, wo sich Fluß und Meer begegnen und vermischen. Sie nennen das dann „Wissenschaft“, doch der Anspruch ist uns zu hoch. „Erfahren“ ist unser Ziel. Wir suchen nach einem anderen, bescheideneren Wort, und das wäre „Erfahrenschaft“, doch das ist nun doch zu umständlich, deswegen wählten wir irgendwo in der Mitte das neue Wort „Kenntnisschaft“. Unsere Kollegen in der Akademie verflechten Wissen und Deuten: aus Wissen wird Deuten, aus Deuten wird wieder Wissen – so ist die Anschauung, so nennen sie´s. (F 43 - Fachausdrücke 5)

Man lädt uns zu einem Essen in einer weiteren Halle ein. Hier ist ein großes Feuer, über dem nicht nur ein großer Kessel hängt sondern an dessen Rand bereits fertige Gerichte in kristallenen Tellern und Schalen warm gehalten werden. Im Feuer sind aber keine Holzscheite, was uns sehr verwundert. Auf unser Fragen schweigen sie, doch nachher erzählt uns Gonfalas, was er in Marthén´s Buch gelesen hat: die Zwerge finden sogenannte Brennkristalle in den Bergen, und die mögen die Quelle für das Feuer sein.

Wir jungen Leute sind skeptisch und fragen uns die ganze Zeit, was bedeutet das alles? Was wollen die mit uns tun? Das bedeutet doch irgend etwas! Doch Gondas der Alte nimmt alles so, wie es kommt, er genießt mit zugreifenden Händen und in vollen Zügen – denn einen angenehmen pavischen Wein haben die Zwerge hier auch – wir nennen ihn den Höhlenwein.

Im Gespräch sagen sie, daß es von hier bis zu den Pavitrani-Tempeln nicht mehr weit ist. Das wundert uns, denn wir haben eine andere Erinnerung aus unseren Karten (die wir hier nur im Kopf tragen). Nach einigen Tagen des Feierns und Staunens, auch des Diskutierens und Lernens und Erfahrens wird uns aber ein Weg gezeigt, auf dem die Zwerge schnell Entfernungen überwinden können. Doch darüber weiter unten, es ist eine sehr wundersame Sache!

Lange Stunden sitzen wir zusammen und besprechen mit einigen Zwergen unsere Forschungspläne. Das interessiert sie sehr, denn sie erforschen seit Jahrhunderten die Tiefen der Erde. Sie geben uns aus ihren Erfahrungen viele gute Ratschläge.

Es gäbe verschiedene Geisthaltungen, sagen sie, aus denen heraus man forschen könne. Und ob der Forscher VERANTWORTUNG tragen will für das, was er tut und findet, sei auch wichtig.

Das mit der Verantwortung wollen wir genauer wissen und eine alte Zwergenfrau erklärt uns:

>>Wir Menschen sind so klug, jedenfalls können wir es sein, wenn die
Ausbildung gut ist. So wissend und könnend ist
kein Tier. Dennoch machen wir so viele
Fehler wie kein Tier: wir führen nämlich die
schrecklichsten Kriege, wir zerstören die
Welt ohne etwas Neues an die Stelle zu setzen.
Unsere eigenen Lebensgrundlagen machen
wir zu Wüsten, unwiederbringlich. Wir
nehmen uns, was wir wollen, pflegen aber
nicht die Böden oder Wässer. Dann können
sie nicht Neues hervorbringen, die fruchtenden
Büsche und Bäume können nicht mehr
wachsen, die Kühe und Büffel finden
nicht mehr ausreichend Nahrung ...

>>Wir können nicht einmal NEUES Leben erschaffen, keinen frucht-
baren Boden, keine mit Leben erfüllten Gewässer,
wir können nicht neue Tiere und Pflanzen erschaffen,
wo wir sie zerstört haben. Wir können es zwar fördern und
beschützen aber nicht neu erschaffen. Dennoch zerstören wir
andauernd Lebendiges, mehr als wir beschützen.

>>Was uns Menschen fehlt ist, daß wir die VERANTWORTUNG für
unser Tun und Denken, ja auch für unser Wissen
voll tragen, bewußt tragen! Uns Menschen ist zwar das
komplizierte Denken, Wissen und Tun angeboren, aber nicht,
auch die Verantwortung zu tragen. Das fehlt uns.
Verantwortung ist uns nicht angeboren ..., jeder sorgt sich am
meisten um sich selbst aber nicht um den Rest des Seins.
Das wäre anders, wenn wir ins Sein eingebettet wären,
mit ihm verschmolzen, „integrierter“ Teil des Seins
– aber so haben wir uns abgetrennt. Und versuchen
unsere eigenen Wege zu gehen (Fachausdrücke 5: 17), die
„persönlichen“ Wege.

Wir fragen: dennoch tragen viele Leute Verantwortung!

>>Ja, wenn sie sie gut gelernt und einstudiert haben. Oder wenn die
Gesellschaft mit Gewalt verlangt, daß ihre Mitglieder
Verantwortung tragen. Nur die Mutter trägt volle
Verantwortung für die eigenen Kinder, ohne daß sie
es lernen müsste, es ist ihr angeboren. Ich sage nochmal:
Verantwortung ist uns Menschen nicht angeboren, wir
müssen sie uns erst selbst erschaffen.

Und wo ist da die Schwierigkeit?

>>Alles, was du einmal gelernt hast, kann mit Leichtigkeit wieder
umgelernt werden - noch mehr unter Druck. Hast du einmal
gelernt, Verantwortung zu tragen, ist es leicht, dir diese
Eigenschaft wieder abzugewöhnen, oder du kannst sie
wieder verlieren. Deine Verantwortung
ist etwas sehr zerbrechliches, unzuverlässiges.

>>Ja, nur die Mutter kann ihre Verantwortung nicht loslassen, bei
ihr ist die Verantwortung für ihr Kind ganz fest und
unveränderbar, sie ist Teil ihrer Natur.

>>Lediglich die Sinari-Golans {Elben} – die ja nicht eigentlich Menschen
sind – sind mit angeborener Verantwortung gesegnet.
Sie tragen Verantwortung für alles – manchmal zu viel, denke ich,
denn sie kümmern sich um vieles, was sie – nach meiner Meinung
– nichts angeht. Doch das muß es wohl sein:
Verantwortung tragen, von Natur aus.

>>Was ich wünsche, wäre, daß ihr als Forscher die Verantwortung
für euer Tun und Lassen tragt. Obwohl es zwar nicht angeboren
ist, können wir Menschen ja so wach und bewußt sein,
daß Verantwortung zu etwas Selbstverständlichem wird.
Und laßt euch nicht wieder davon abbringen! Verantwortung
tragen gehört zu den wichtigen Eigenschaften der
Forscher, meinen wir Zwerge.

Ist wach und bewußt sein denn angeboren? frage ich.

>>Ja ja, ich denke, aber es wird so oft vernachlässigt. Besser gesagt:
jeder Mensch hat die Fähigkeit dazu, doch auch hier ist die
Vernachlässigung sehr häufig. Geht zu den Pavitrani,
dann lernt ihr mehr darüber.


Bei dem Gespräch sind so viele Frauen wie Männer, das verwundert uns, da bei uns Frauen sich nicht beteiligen oder nicht beteiligt werden. Diese Sache macht uns aufmerksam und wir beschließen, zuhause auch die Beiträge von Frauen anzufordern. Eine andere Zwergenfrau merkt unsere Gedanken und meint,

>>wenn ihr allein eure männlichen Denkarten einsetzt, entgeht euch die
Hälfte, wenn nicht mehr.

>>Es geht mir nicht darum, daß ich als Frau mehr erkennen könnte,
sondern daß man eine Sache sowohl von der männlichen als
auch von der fraulichen Seite aus sehen kann – egal,
ob diese Sicht tatsächlich von einem Mann oder einer
Frau aus geht, beide können es. In jedem Mann ist
auch Frau, in jeder Frau ist auch Mann – besonders
in Sachen der Beurteilung von Erlebtem.

Wir möchten uns diese Worte in ein Buch schreiben, das wir nun für alle solche Ratschläge und Hinweise eröffnen wollen. Doch wir beginnen mit einigen Blättern Papier, da wir hier kein solches Buch bekommen können.


Nun über das Reisen bei den Zwergen: Sie haben eine ganz eigenartige und hilfreiche Einrichtung: sie können auf besonderen Wagen schnell reisen: diese Wagen sind aus Eisen gebaut und haben Gummiräder, die auf Eisenstangen laufen, an denen sie irgendwie haften. So werden einige dieser Eisenwagen hintereinander gekettet und nicht etwa von Pferden gezogen sondern von einem Eisenwagen geschoben, der viel schneller als Pferde ist und auf geheimnisvolle Weise seine Kraft für sein sehr schnelles Fahren bekommt. Damit aber diese Sache nicht bekannt wurde, hatten sie lange Tunnel gegraben, in denen diese Wagenreihen fahren. Man steigt in unterirdischen Hallen ein oder aus, die besonders schön gestaltet sind. Sie sind hell und bunt bemalt, einige sogar mit bunten Fliesen ausgekleidet. Durch geheime Türen in den Felsen treten die Reisenden in diese Hallen oder verlassen sie wieder. Man lässt uns mitreisen, weil nun das Geheimnis langsam gelüftet werden soll. Der König Krinanon hatte bereits Nachricht bekommen, und es heißt, er überlegt noch, ob er den Bau solcher Schnellreise-Strecken allgemein fördern will.

- B11) - die Wagen


Die Wagen sind groß und geschlossen und haben weite Glasfenster. Es gibt angenehme Sitze – welch ein Kontrast zu unseren Wanderungen in den Wochen zuvor. Ja, es werden Obst und heiße Getränke angeboten, Kerzen brennen, und im Winter sind die Wagen geheizt.

Wir haben etwas Angst, da hinein zu steigen. In weichen Sitzen machen wir es uns dann doch bequem. Einige Zwerge reisen mit, und sie erläutern uns die für uns neue Technik. Die Wagen rollen schnell und leise durch lange Tunnel, doch einige Male öffnen sich die Tunnel seitwärts, die Wagen halten, und wir können eine schöne Landschaft ansehen.

Wenn die Wagen halten, um Reisende ein- und aussteigen zu lassen, oder um Gepäck ein- oder auszuladen, sehen wir ein schönes und ruhiges Getriebe von Zwergen in den beleuchteten Hallen.

Nach zwei Stunden kommen wir in einer Halle an, in der unsere Reise zuende ist – doch die Wagen rollen nachher weiter, bis in´s Alan Glazinian {Ered Nimrais} hinein, wo die Zwerge Bergwerke haben. Eine Zwergen-Frau sagt,

>>wir sind nun unter den Pavitrani-Tempeln. Ihr müsst da hinten
einen Gang entlang gehen und dann eine Treppe
hoch. Oben werdet ihr nur eine kleine Tür finden,
die in einem dichten Gebüsch verborgen ist. Wahrscheinlich
werdet ihr den Weg nicht wieder hier herein finden. Ihr
müsst dann auf gewöhnliche Weise nach Haus wandern.

Lange brauchen wir, um die Treppe zu ersteigen. Sie ist grob gebaut, eng, nur schwach beleuchtet, sie ist sehr unbequem. Ich werde an die Tage im Schilf erinnert, wo es ebenso schwierig war.

Oben ist ein weite Ebene, die auf einem langen Berg liegt, auf dem Alan Pavani, dem Pavanischen Gebirge. Zu Fuß dauert es trotz der guten Wege mehrere Tage, um diese Berg-Ebene von Anfang bis Ende entlang zu gehen. Wir sind – wie wir hören – am südlichen Ende dieser Hochebene. Hier erleben wir eine sehr gepflegte und liebliche Landschaft; Baumgruppen, Obsthaine und Teiche wechseln mit Wiesen ab, auf denen zahme Tiere in Ruhe grasen.

Viele Menschen sind hier, sie sehen sehr ausgeruht und freundlich aus und haben stille und heile Gesichter. Manche tanzen oder machen Musik, manche liegen oder sitzen still, manche sind in eifrigen Gesprächen oder auch im Streit, doch alles mit viel Gelassenheit.

Es ist auch hier oben noch so warm, daß wir nachts irgendwo auf einer Wiese schlafen. Für alles ist gesorgt, für Essen, Trinken, Kleidung, Stille oder Tanzen – was immer die Gäste benötigen. Wir bekommen ein langes weißes Kleid wie alle hier oben – außer den Menschen, die für alles zuständig sind: es sind wieder die dunkelbraunen Menschen in den roten Kutten wie der Mann, den wir am Strand trafen. Sie tragen ihre schwarzen Haare lang. Um den Hals hängt eine grob erscheinende Kette aus vielen hölzernen Perlen, an deren Ende ein kleines Bild eines besonders schönen Menschen hängt – es soll ein Bild ihres Meisters sein.

Ich höre später, jede Perle – es sind etwas mehr als hundert – stellt eine Form von Meditation dar. Einige dieser Meditationen hat Marthén in seinem Buch über die Ghân beschrieben (Fachausdrücke 5: 16).

Die Landschaft ist leicht wellig. In einer Senke treffen wir auf einen Tempel, der eher wie ein Turm aussieht. Er steht auf einem ausgedehnten Steinsockel, der wohl die Höhe von drei Menschen hat – wohlgemerkt, ich rede nicht von den Zwergen. Oben ist die Spitze des Turmes gekrönt mit einer steinernen Blüte, auf der ein goldener Tropfen zu schweben scheint. Die Spitze soll sich wohl zwanzig Mannshöhen (Fachausdrücke 5: 15) über den Erdboden erheben.

Müde legen wir uns ins Gras und schlafen. Am Morgen kommt eine Gruppe der Roten, ich meine der braunen Menschen in den roten Kutten, und sie fragen in krinischen Worten, was wir möchten. Uns scheint es schwer, das Anliegen zu erläutern, doch irgend etwas verstehen sie schnell und weisen uns nach einem Tempel, der einen Tagesweg weiter nördlich liegt. Auf dem Weg begleitet uns ein Roter, den wir als den Mann vom Strand wiedererkennen. Er ist still, aber wir bemerken eine ganz klare Aufmerksamkeit. Es scheint, daß er uns schon lange heimlich begleitet um uns in unserer Aufgabe zu lenken.

Einige ähnliche Tempel liegen am Weg. Jeder hat eine bestimmte Aufgabe, sagt der Rote. Doch sie dienen nicht etwa dazu, lediglich eine Gottheit anzubeten, wie es bei uns in Ekro Krinath und Abyssál ist. Er sagt, bevor wir zu einer Gottheit zugelassen werden, müssten wir uns gereinigt haben, er meint damit, wie müssten die Seele gereinigt haben. Wir werden schließlich zu einem Tempel geleitet, neben dem ein paar flache Gebäude stehen. Der Rote sagt, hier wird den Suchern gezeigt, wie sie die Wirrnis des täglichen Lebens in ihrem Kopf zurücklassen können, um zu klarem Denken – und zum nicht-Denken! – zu kommen. Uns scheint, damit haben wir einen Ort gefunden, an dem wir die geistigen Grundlagen für unsere Forschungsaufgaben legen werden – obwohl uns nicht-Denken zu absonderlich vorkommt. Auch die Grundlagen, um verlässlich Verantwortung zu tragen.


In den flachen Gebäuden leben ein paar der Roten, die ihre hölzerne Halskette noch verziert haben mit ein paar polierten klaren Opal-Perlen. Manche tragen einen, andere zwei oder mehrere Opale. Man sagt, je mehr Opale sie tragen, desto höher sind ihre Einsichten – sowohl kenntnisschaftliche wie spirituelle. Auch wir werden in eines der Häuser eingewiesen, wo schon ein paar Adepten wohnen. In einem der Häuser – es ist viel ausgedehnter und ein wenig höher – ist eine Versammlungshalle für vielleicht zweihundert Leute. Da ist auch ein Podium mit einem einfachen Sessel. Die Zuhörer aber sitzen auf dem gespaltenen – aber nicht polierten – Schieferboden, er ist dunkel orange-rot mit schmalen, unregelmäßigen Streifen in weiß und schwarz.

Man lädt uns ein, zwei Mal am Tag an stillen Zusammenkünften teilzunehmen. Alle, die hier sind, sammeln sich in der Halle, es wird eine leichte Musik gespielt, nach der wir tanzen oder still sitzen. Dann hört die Musik auf, und nur einzelne Gongschläge werden in langen Abständen geschlagen. Es ist leicht, still zu sitzen und mit offenen oder geschlossenen Augen nur einfach da zu sein. Nach langer Zeit hören wir zum Abschluß einen großen Gong, und wir gehen wieder nach draußen, dehnen und recken uns, laufen umher und lachen und freuen uns.

Insgesamt sind wohl einhundert Adepten anwesend. Am dritten Abend nach unserer Ankunft treffen wir uns mit den anderen, und es gibt eine Einführung und Einweisung durch einige Rote – ein paar Frauen, ein paar Männer. Den Tempel und das ganze Gelände, das zu ihm gehört, nennen sie Zantrani, was so viel wie klar-geistiger Tempel bedeutet. Alle Tempel und Anlagen zusammen auf diesem Berg werden Pavitrani genannt – die Freiheits-Tempel. Die Adepten hier im Zantrani möchten ihre geistige Fähigkeit und Freiheit verbessern. Sie möchten Wege erkennen, auf denen sie sich von dem Schmutz und den Wirren des alltäglichen Denkens und Wissens befreien können. Sie möchten Wege finden, auf denen sie geistig und seelisch wachsen können.

Eine Rote erläutert:

>>Zu Beginn dieser Tage im Zantrani rufen wir gemeinsam die Gottheit
an – doch bedenkt: in Wirklichkeit existiert KEINE Gottheit.
Aber in diesem Raum stellen wir die Gottheit durch
einen Kreis dar, den ich jetzt an die Wand vor euch male.

Eine andere Tempelpriesterin sagt:
>>Zuerst summen wir gemeinsam. Früher oder später wird sich
Frieden in uns einstellen. Das Wort Friede sprechen wir
drei mal leise – jede in der eigenen Sprache (in krinisch
sagen wir ”Mirijam”) – und stellen uns vor, daß
wir nun angekommen sind in dieser geistigen Zantrani-
Schule. Dann lange Stille. Mit einem Gongschlag
beenden wir diesen Abend.

Sie sagt weiter nach einer Weile:
>>Vor den Frieden kommt die Freiheit.
Was heißt Freiheit für uns?

>>Ganz einfach gesagt: solange du dich mit einem anderen Menschen
verbunden hast oder fühlst, bist du abhängig – dann
ist die Freiheit nicht vollständig. Es entstehen Erwartungen,
Ansprüche ... ganz fein aber doch spürbar. Das reicht,
um Abhängigkeiten zu erzeugen und ist oft auch
richtig und gut. Doch dann ist Freiheit nicht vollständig.
Ja selbst die Liebe schränkt die Freiheit ein.

>>Doch Freiheit ist das Ziel des Lebens.

>>Auch wenn du über anderen Menschen stehst, bist du nicht frei,
denn du hängst von dieser Verbindung mit den anderen ab
– ebenso wie jemand, die unter anderen steht.

>>Und erst, wenn du ganz frei bist, wird Liebe voll und ganz. Denn dann
ist Liebe ganz ohne Bedingungen – wir nennen das
Karúm, das ist das Verstehen, das Mitgefühl, die
Hinwendung zu allem, das existiert. Dann bindest
du dich nicht mehr an eine einzelne Person in Liebe,
dann hast du Liebe in alle Richtungen. Doch
auch die besondere Liebe an eine oder einen Einzelnen
schränkt deine Freiheit dann nicht mehr ein.

>>Wenn du dann einen Menschen liebst, lässt du ihr oder ihm alle
Freiheiten, das ist deine Gabe an die anderen aus deiner
Liebe heraus. Wer in Freiheit lebt, streut
so viel Freiheit aus ...!

>>Machmal werde ich einem oder einer von euch sagen: lerne du
deine Freiheit noch kennen! Erfahre erst deine Freiheit!
Ich werde ihn oder sie dann in einen der anderen
Tempel schicken, um diese Erfahrung zu machen.

In unserer krinischen Sprache trennen wir scharf und zuweilen in verletzender Weise zwischen Frauen und Männern. Hier auf den Pavitrani benutzen sie aber immer nur eines der beiden Wörter, das andere Geschlecht ist dann selbstverständlich auch gemeint. Das Volk der Ghân oben in den Bergen ist da noch besser dran, sie benutzen nur ein Wort für beides, sie sagen DON für die und der.

Die Rote sagt noch:

>>Hier in Zantrani gibt es eine sehr erfahrene obere Meisterin,
sie heißt NAWAIN und leitet alles. Sie wird euch
oft begleiten und an vielen Tagen zu euch sprechen
– in diesem Raum. Ob sie nun heilig ist oder nicht,
spielt keine Rolle. Doch es ist für euer Lernen hilfreich,
alles, was hier geschieht für heilig zu halten, also
auch die Treffen mit Nawain. Weil sie am meisten
Erfahrungen hat, sollten diese Erfahrungen die heiligsten Begegnungen
während eures Hierseins sein.

>>Bitte seid still – außer wenn wir uns austoben und schreien, was
wir an jedem Tag kurz nach Sonnenaufgang für eine
gewisse Zeit tun werden (Fachausdrücke 5: 9). Auch das ist wichtig für
unsere Arbeiten, damit vielleicht aufgetretene
Träume der Nacht zerfließen und uns nicht
mehr stören.

>>Seid still - damit meine ich auch: sitzt nicht zusammen und redet über
das Erlebte lang´ hin und her, sondern laßt das Erlebte still in
euch hineinfließen und da drinnen wirken. Es geht uns um
Erfahren, nicht um geistiges Erörtern.


>>Nun will ich euch erläutern wie das morgendliche Austoben
und Schreien geht:

>>Ihr stellt euch hin. Es kommt ein heftiges, trockenes Trommelspiel.
Und atmet dabei ganz heftig durch die Nase,
tief, schnell und un-ordentlich, wirklich: macht daraus
keine Musik, keinen Spaß, sondern seid ganz intensiv
in diesem Atmen, betont das Ausatmen und
schwingt die Ellenbogen der nach außen angewinkelten
Arme zur Unterstützung. Manchmal kommt Weinen
an dieser Stelle, lautes Weinen. – Vergiß
alles, was um dich geschieht.

>>Danach, wenn die Musik sich ändert, wenn sie heftiger wird,
dann laßt von innen alles los, schreit alles hinaus,
was aus euch hinaus will: laut, ohne Wörter,
mit Armen und Beinen um euch werfend, lachend,
weinend, alles so stark wie möglich. Laßt es den Körper
selbst tun, nehmt keinen Einfluß, springt herum,
laßt alles los, was euch festhält und übergebt dem
Körper die Verantwortung für alles. Folge deinen Gefühlen,
wie sie kommen, explodiere! Schlage mit den Fäusten
auf ein Kissen, wenn es not tut.

>>Dann als nächstes, wenn die Musik sich wieder ändert, wenn sie hart
und stakkatisch wird, springt und springt ... auf und auf ...
und schreit so laut es geht, was gerade in den Sinn kommt,
in der Kehle zum Schreien erscheint, es wird dumpf und heftig
werden, und dann dürft ihr hinausschreien: „wer bin ich?
wer bin ich? wer bin ich? ...“, und das eine lange Zeit so.
Fragt euch so fest und tief wie
es geht „wer bin ich?“, mit geballten Fäusten und
dem festestenWillen, der möglich ist. Statt
dessen könnt ihr auch schreien „Hu ... Hu ... Hu“.

>&gt:Gerade das "Hu ... Hu ..."  ist etwas Besonderes. Ihr springt ja, und wenn
ihr unten ankommt, schreit das "Hu". Schreit es nach unten, ins Becken,
alles, was sich vorher gelöst hat, schleudert ihr damit ins
Becken, da bleibt es dann, ganz besonders die körperlichen
Gefühle. Schreit nicht nach oben, schleudert es nicht nach oben,
das wäre sinnlos.

„Hu ... Hu ... Hu“.


>>Schließlich rufe ich -

>>STOP!

>> – und ihr bleibt alle wie festgefroren stehen, noch immer sind die
Arme und Beine irgendwie verrenkt, laßt sie
so wie sie gerade sind, haltet sie in dieser Stellung fest und
bewegt euch kein bißchen! Es MUSS anstrengend sein,
damit ihr wach bleibt, doch seid nicht etwa stolz, wie gut ihr
das könnt! Bleibt starr so stehen –

>>bis jemand anfängt zart auf einer Flöte zu spielen – und freut euch
nun, daß ihr noch lebt; feiert das Leben, indem ihr leicht
und fröhlich und erlöst schwingt und tanzt
und lacht  . . . falls ihr noch könnt,

sie lacht über diesen Scherz.

>> und nachher ist noch viel Zeit  um  still zu sitzen
und den Kopf ganz still sein zu lassen, keine Gedanken,
kein Nachklingen dessen, was ihr erlebt habt - nur reine Stille.

>>Noch eines: dieses ist kein Sport – manche neigen ja dazu, alles
sportlich zu nehmen! –, es ist kein Spiel und keine Erholung,
nicht einmal ein Mittel gegen Rückenschmerzen oder
so. Es geht nicht um eine Leistung!

>>Es ist ein Weg zur inneren Klarheit.

- Bild B11) -
das morgendliche Austoben, na ja, ein wenig zu un-dynamisch gezeichnet



Und nun will ich euch beschreiben, wie es mir am ersten Morgen damit erging: Ich wurde in dieses Erlebnis hineingezogen, es war etwas so Neues, daß ich mich nicht wehren konnte.

Zum heftigen un-ordentlichen Atmen gibt es eine ebenso un-ordentliche Musik aus Trommeln und Flöten, schnell und hektisch. Das Weinen kommt sehr schnell, doch ich atme weiter, die Tränen fließen, das Schluchzen wird laut. Alte Schmerzen stoßen hinaus. Doch alles ist sehr echt, unverfälscht.

Und dann das Schreien: die Musik ist weniger chaotisch aber herausfordernd. Wir schreien hinaus, was kommt, wir trommeln unsere aufgestaute Wut (und wer hat keine aufgestaute Wut?) mit den Fäusten auf Kissen, die uns zugeworfen werden. Ich schreie keine Worte, keine Sätze, sondern es kommen Urschreie heraus, alles kommt unter Schweiß und Tränen heraus – am Anfang geht es um Wut, doch dann kommen auch Splitter von Ärger, Angst, Verachtung, also viele häßliche Stimmungen. An späteren Tagen wechselt das über zu mehr Lachen, Freude, ja Stille – dann tobe ich nicht mehr die ganze Zeit sondern reinige nur noch am Anfang das aus, was in den Stunden davor entstand oder aus letzten Ecken auftauchte.

Und dann das Springen und Rufen „wer bin ich?“ – das Grundthema auf den ganzen Pavitrani. Und es ist die ernsteste Frage, die ich kenne. Sie wird bei diesem Springen nicht beantwortet, doch später findet sich etwas wie eine Antwort.

Später schreie ich auch „Hu, Hu, Hu“ mit jedem Sprung, und das fühlt sich an wie ein Absacken nach unten in den Leib, in mein Becken, ja noch tiefer, ein Absacken und Ankommen im Feld des Geschlechts – erst habe ich davor Angst, denn es entsteht eine Öffnung in diese Tiefen meines Körpers, doch dann finde ich einen Weg noch mehr in die Tiefe, in die Erde – und die Erde in mich hinein, Unterkörper und Erde verflechten miteinander. Nun ist mir, als ob das Geschlecht ganz verletzlich geworden ist – wir tragen ja auch nur ein halblanges Hemd und der kühle Morgenwind umstreicht den ganzen Unterkörper ungehindert –,

doch schließlich: die Vereinigung mit der Erde!

STOP! schreit da jemand, und mit diesem Schrei bleibe ich plötzlich stehen, mit hoch erhobenen Armen und ganz steif. Doch langsam sinken die Arme, es macht so viel Mühe sie hoch zu halten ... in langen unregelmäßigen Abständen schlägt jemand einen blechernen Gong (um uns ganz wach zu halten)  . . .  eine ganz klare Vision ist nun da: es ist ganz trocken in meiner Brust, und sie ist angefüllt mit Knäueln von trocken knisterndem, dünnen, schwarzen Papier. Langsam löst sich dieses Bild auf  . . .

. . .  und dann nach langem Mühen diese süße Musik aus einer kleinen Flöte!

Später treffen wir uns wieder in der Halle, und Nawain spricht zu uns über Formen des Geistes und der Seele. Doch darüber will ich hier nicht weiter schreiben, sondern wie wir unserer Aufgabe, die Meere zu erforschen näher kommen.

Mehrere Wochen bleiben wir hier. Viele Male sprechen wir über das Forschen und das Erkennen. Hier will ich beschreiben, was ich gelernt habe.



ψ

KAPPA 1.3 Wie forschen und erkennen wir richtig? – Über das Neue Kenntnisschaftliche Denken.

Bisher war ich gewohnt, einfach das zu denken, was mir in den Sinn kam, von außen oder von innen, aber nun lerne ich das Folgende – zusammengefasst aus mehreren Gesprächen und Vorträgen mit und von Nawain, und besonders aus eigenen Erfahrungen, die von Nawain geleitet und angeregt wurden, – wir alle hier oben im Zantrani lernen das. Nawain spricht sehr langsam, über das Neue, den Neuen Menschen, das Neue Denken:

>>Anders als im gewöhnlichen Leben erblüht das
NEUE  KENNTNISSCHAFTLICHE  DENKEN ...

>> . . .  von tief innen – aus einer INNEREN  ERFAHRUNG heraus.

>>Hier innen ist Stille, einfaches Beobachten ohne Werten
oder Vergleichen, nicht einmal dieser Verstand hat hier etwas
zu suchen, nicht einmal das ICH ist anwesend. Keine
Bedingung ist da, die uns beeinflußt.

Kenntnisschaft ohne Verstand? frage ich mich. Das ist doch ein Widerspruch. Nawain ist mir zu schwierig – doch sie zieht mich an und ich höre weiter zu.

>>Aus dieser Stille, aus ruhigem geistigen Sein heraus, da kann es
kommen, daß der kenntnisschaftliche Sucher sich endlich
öffnet, daß er alles in sich aufnimmt, was ihm die
Sinne bringen. Erstmal ohne es
zu verarbeiten.
Das ist REINES ERFAHREN.

>>Denn für vieles, was wir erkennen, haben wir KEINE Sprache – ABER
das stille Erfahren. Das kann auch schwierig werden,
denn der König will etwas Konkretes haben.
Das ist das Risiko der Forscher: „wie soll ich es ausdrücken,
was ich gesehen habe?“ Es ist dann eure Aufgabe, etwas zu
formulieren, in Worten auszudrücken, was andere
verstehen können. Sie müssen ja eure Worte in
Handeln umsetzen können, in politisches Handeln,
in technisches Handeln, in wirtschaftliches Handeln, in
das Lehren  . . .  Ihr müsst dann eure Erfahrung in brauchbarer
Sprache ausdrücken, leider wird die Erfahrung
dann ein Stück ärmer, doch was soll man anderes
machen? Die Sprache ist nun mal eine grobe
Vereinfachung. Sogar die Sprache der Alten
war eine grobe Vereinfachung, obwohl
sie reicher war als
die heutigen Sprachen. (Fachausdrücke 5: 62)

>>Aus den Tiefen seines stillen Seins beginnt der kenntnisschaftliche
Sucher geistig lebendig zu werden und sich zu
konzentrieren auf die Arbeit des Erkennens und
schließlich des Denkens – DAS NEUE DENKEN                 
Wenn der Sucher von innen und von unten
heraufsteigt, eben aus seiner Stille. Er ist nun nicht gestört durch die
wirren Gedankenfetzen, die von überall außen auf
den Denker einstürzen, immer und ohne Erbarmen.
Er befindet sich jenseits oder außerhalb dieses üblichen
Gedanken-Wirrwarrs.
Denn er ist in der stillen Tiefe.

>>Nun kann er beobachten und Denken, und Kenntnis erscheint.

>>HALT !
ruft da eine Frau:

>>du redest immer nur von Männern und ihren guten und klaren Wegen
– doch das ist doch wohl nicht alles! Ich möchte gerne
einen Streit zwischen eurer männlichen Art in
der Kenntnisschaft und unserer,
der Art der Frauen.

Hier bin ich sehr erstaunt, denn noch immer bin ich der Meinung, daß Denken Denken ist, Kenntnis Kenntnis, und daß es niemals einen Unterschied geben kann, kein frauliches und kein männliches Denken  . . .  Doch sie sieht das anders.

Die Frau, sie heißt KRADA. Nawain fordert sie auf, ihre Ideen vorzulegen. Krada sagt:

>>Männer und Frauen sind grundsätzlich sehr verschieden. Ihre Art,
die Welt zu erkennen und in ihr zu leben
ist sehr verschieden.

>>Beide sind aber gleich bedeutsam. In jeder Hinsicht. Männer und
Frauen gehören zusammen, sind die beiden
Teile der Menschheit.

>>Menschheit gibt es nur durch beide – wenn Frauen oder Männer
fehlen würden, wäre das Leben sehr arm,
ja unmöglich. Aber sie sind zwei entgegengesetzte
Welten bei den Menschen.

>>Wenn wir die Welt erkennen wollen, müssen wir beide Arten des
Erkennens für wichtig erachten und sie benutzen. Deswegen
hat Nawain ja auch eben so viele Männer
wie Frauen eingeladen.

Wir hören Nawain dazu sagen:

>>Ja, Männer und Frauen sind sehr verschieden, sie sind ein Gegen-
satz. Deswegen ziehen sie sich an, deswegen bauen
sie Brücken zwischen sich. Jeder Gegensatz ist so interessant,
daß wir unser Leben immer wieder in Gegensätzen
formen. Doch deswegen stoßen sie sich auch immer
wieder ab, denn in Gegensätzen leben ist anstrengend
– und noch ein zweites: in Gegensätzen leben kann
das Ego verletzen (Fachausdrücke 5: 17).
Doch über das Ego ein anderes Mal.

>>Der Mann ist eher aggressiv, er will die Welt vollständig erforschen
und erobern. Daß das nicht geht, stört ihn nicht sehr,
er macht immer weiter, da ist er ausdauernd. Und dabei verletzt
und beleidigt er die Welt immer wieder. Wenn die Frau schon
forscht, hat sie die Neigung, zart mit der Welt umzugehen.

>>Ihr habt auf eurer Bootsfahrt in die Krinische Bucht viele Tiere
gefangen, habt sie aus ihrem Lebensraum genommen
und gequält und getötet. Das ist eure männliche Aggressivität.
Wenn die gefangenen Tiere an Deck liegen, macht es euch
nichts, mit euren harten Seestiefeln dazwischen herum
zu laufen. Eine Frau würde vielleicht vor Schmerz weinen,
wenn sie euch so sieht. Eine Frau würde das
alles viel liebevoller tun.

>>Da aber die Frau nicht aggressiv ist, wird sie nicht die Tiere fangen,
töten und nach Hause verschleppen. Sondern sie wird
sich still hinsetzen und das Leben da draußen beobachten und
aus dem Beobachteten ihr Bild von der Natur erschließen.

>>Und im Mann gibt es die geistige Welt, das ist sein Ziel, nach oben
ins Geistige, nach draußen. Er wandert umher,
klettert auf das Schneegebirge oder wandert in den
hohen Norden oder den heißen Süden oder gar in die
Große Wüste. Er ist unruhig und in diesem Sinne nie zu
befriedigen. In der Großen Wüste wird er schließlich
umkommen – wieviele Männerknochen mögen da schon
rumliegen! –, doch das gehört zu seinem
Drängen und Suchen.

>>Die Frau aber hat das alles IN sich. Innen in der Frau gibt es das
Leben dieser Welt – tief in ihrem Leib schafft und
hütet sie neues Leben, sie erschafft etwas
– das kann der Mann nicht. Sie muß nicht auf vergeblicher
Suche umherwandern sondern sie hat und hütet es
in sich, in ihrem Schoß. So ist es auch mit weiblichen Tieren,
so ist es mit den Samen tragenden Teilen von Pflanzen.

>>Die Frau weiß, daß das, was sie in ihrem Schoß entstehen lässt, sehr
verletzlich ist, deswegen achtet sie mehr als der Mann
auf die Bewahrung dieser Dinge, auf die Bewahrung
des Lebens im Meer und im Wald.

>>Wenn ihr das Meer oder anderes wirklich ganz erforschen wollt,
müssen Frauen und Männer zusammen arbeiten – so
gegensätzlich sie auch sind, gerade weil sie gegensätzlich
sind. Und ihr müsst gemeinsam einen guten Grund für
dieses Forschen haben, seid euch darin einig. In der Benennung
des Grundes sollt ihr euch einig sein.

>>Damit Forscher und Forscherinnen nicht gegen einander kämpfen,
biete ich euch an, daß ihr euch gegenseitig kennen lernt:
der Mann lernt die Frau kennen, die Frau lernt den Mann
kennen. Dann sind beide im Forschen bereit und fähig,
auch die Erkenntnisse der anderen zu erleben, sich
nicht davor zu verschließen.

>>Doch noch vor diesem gegenseitigen Kennenlernen sollen die
Männer für eine Woche in den Tempel der Frauen gehen,
und die Frauen in den Tempel der Männer. Eure
Erkenntnisse werden wir hier hinterher zusammenführen.
Da kann der Mann seine innere Frau erkennen, die Frau
ihren inneren Mann – denn so ist es: in jeder Frau
ist auch ein Mann, in jedem Mann ist auch eine Frau,
psychologisch gesehen.

Nawain schickt uns in zwei Tempel, die nebeneinander liegen, der eine ist der frauliche, der andere ist der männliche. Der erste heißt Larani, der zweite Dariott. Nawain schickt die Männer in die Larani, die Frauen in den Dariott.



- Bild B 12) -
Tempel Larani (rechts) und Dariott (links). Das Bild ist sehr vereinfacht,
in der Tat sind die Tempel außen sehr komplex, übersät
mit in Stein geformten Figuren mit psychotherapeutischer
und spiritotherapeutischer Wirkung.
Dariott hat typisch männliche Formen, nach oben gerichtet, gerade und kantig.
Larani hat weibliche Formen, zur Erde gerichtet, breit wie eine Frau, die eine
Schar von Kindern unter ihrem Rock beherbergt.
Larani steht etwas weiter zurück gegenüber dem
nach vorne drängenden Dariott.


Beide Tempel stehen im Abstand von zweihundert Schritten auf demselben steinernen Sockel, der Dariott hat strenge und klare Formen, mit einer hohen Spitze oben darauf. Die Larani sieht eher wie eine Glucke aus, rund und wohlig, verlässlich. Rund herum ist ein großer, eher wilder Park, und das ganze liegt in einem dichten Wald, durch den nur wenige Pfade gehen. Wer das Leben im Wald nicht kennt, mag Angst vor wilden Gefahren bekommen. Wir haben das hinter uns und fühlen uns eher heimisch unter all den Pflanzen und Tieren, Sümpfen und Bächen. Ich denke, das ist eine der guten Voraussetzungen für das Leben als Naturforscher.

Auch in diesem Tempelpark stehen ein paar flache Häuser. Innen im Larani-Tempel aber findet die Anbetung der Göttin statt, ihre Statue steht in einem Schrein, vor dem du dich hinstellen oder hinknien kannst. Die Göttin hat ein offenes, weiches Gesicht, sehr fraulich, ein leichtes Lächeln. (Bild 13)

Öllampen stehen zu Füßen der Göttin, Räucherdüfte erfüllen den Raum – alles für die Göttin, die verehrt wird. Doch die Besucher bleiben vor der Nische, gehen nicht hinein. Nur die Roten, die für alles sorgen, dürfen hineingehen. Einmal am Tag wird die Statue gewaschen und neu mit schönen Tüchern überhängt – wie eine lange Robe –, je nachdem, ob gerade ein Fest ist oder nicht, in verschiedenen Farben.



- Bild B 13) -
das Bild der Göttin


Wir Männer aus dem Zantrani treffen uns in einem der flachen Häuser mit anderen Männern, die hier auch ihre innere Frau kennen lernen und der Göttin huldigen wollen.

Es ist aber die Regel, daß alle Männer sich wie Frauen kleiden, die Männer werden gebeten, sich wie eine Frau zu fühlen – es wird uns gezeigt, daß in jedem Mann auch eine Frau lebt. Alle leben wir ein paar Tage so zusammen, wie Frauen miteinander leben. Wir Männer gehen den Weg, uns ganz als Frau zu fühlen. Woher wissen wir das? Rote Frauen zeigen es uns und berichtigen, wo es not tut.

Was ist aber Frauenkleidung? Für uns aus dem Osten ist das klar: unsere Frauen tragen immer ein leuchtend farbiges Kleid, das die Knie noch eben bedeckt aber gelegentlich im Spaß sehen lässt, und die Männer tragen immer knielange Hosen, doch in düsteren, dunklen Farben, grau, braun oder dunkel-grün, und einen ebenso düsteren Kittel. Darunter haben wir lange, oft blaßbunte Strümpfe an, die bis fast über das ganze Bein reichen. Der größere Junge oder der junge Mann kann sich hier ein wenig bunt machen, wenn ihm danach ist, auch mit gemusterten Strümpfen. Das alles ist eine strenge Regel und wird nicht durchbrochen. Niemand traut sich, die Kleidung der anderen zu tragen, irgend ein Gefühl hemmt einen daran. Nur Kinder sind da frei, sie dürfen die eine oder die andere Kleidung tragen, und viele machen sich einen Spaß daraus.

Doch bei anderen Völkern ist das alles anders, da unterscheiden sich Frauen- und Männerkleidungen fast nicht, wie bei den Pavinen, die alle lange dunkel-blaue Roben aus grober Wolle tragen. Für die pavischen Männer ist es schwierig, sich wie eine Frau zu kleiden, die Unterschiede sind zu gering, nur in der Kopfbedeckung geht es: die pavischen Frauen binden ihre schwarzen Haare mit einem rosa Tuch zusammen, was für Männer tabu ist. Die Ghân haben ähnliche Sitten, wie Marthén in seinem Buch über die Ghân beschrieben hat und wir bald selbst sehen werden.

Nun plötzlich soll ich mich in eine Frau verwandeln, ich merke, daß ich große Hemmung habe: Buntes tragen, noch dazu ein Kleid! Sehr eigenartig. Unten fühle ich mich entblößt, wo mich sonst die Hose umschließt und schützt. Und in den bunten Farben komme ich mir lächerlich (!) vor. Da hier aber alle, die aus dem krinischen Osten kommen, so aussehen, gewöhne ich mich. – Unsere Bärte? Krinische Männer rasieren sich täglich. Hier nun nicht mehr, und wir entdecken, daß es sich MIT Bart fraulicher anfühlt – wie das kommt, verstehe ich nicht.

Ein paar Rote Frauen zeigen uns, wie Frauen leben, denken und fühlen – ganz anders als wir Männer, und das ist schön zu erleben, wenn auch nicht für alle. Es ist eine neue Welt! Schließlich tanzen und lachen und weinen wir viel miteinander, wir massieren uns gegenseitig und streicheln einander. Auch drücken wir unsere Gefühle aus durch Schreien, Aufstampfen, Weinen  . . .  Abends fühlen wir uns ein wenig gereinigt und gehen gemeinsam zur Göttin. Die Göttin wird mir immer bekannter, ich fühle mich ihr bald sehr nahe, fühle mich ihr bald gleich und möchte sie umarmen.

So lerne ich ein wenig kennen, was an Fraulichem in meiner Seele ist, und – wie Nawain sagt – so ist es bei jedem Mann, und entsprechend bei Frauen, sie haben ein Stück Mann in ihrer Seele.

Zwei Tage später ist Nawain auch mitgekommen und sagt:

>>Erst jetzt, da ihr das andere Geschlecht in euch erkannt und
schätzen gelernt habt, könnt ihr euch begegnen und
vereinigen. Vorher war es entweder – bei den Frauen –
sich in das Unvermeidliche ergeben, oder es war – bei den
Männern – egoistische Gewalt. Nun ist es nicht mehr
einfach Sex sondern es ist Vereinigung.

>>Ein Weiteres ist Karúm, die Liebe für das Ganze. Karúm ist
Mitgefühl, Karúm heißt, dich in ein anderes Wesen hinein zu
fühlen. Auch in andere Dinge, wie in einen Wald, einen
Blitz, einen Felsen, ja sogar in Gefühle, Gedanken
und Begriffe (hier hat mir, Aryaman P., JOHN PERKINS
geholfen, siehe Lieteraturverzeichnis).

>>Karúm erlebst du, wenn du dich selbst ganz loslassen kannst, wenn
du in voller Wachheit zurück blicken kannst auf deinen
Egoismus zum Beispiel. Ja, den Egoismus
loslassen, das meine ich.

>>Ihr Frauen werdet heute abend einmal erleben, wie der innere Mann
ist, und ihr Männer werdet erleben, wie eure innere Frau ist.

Und so geschieht es, in der großen Halle im Larani: Wir legen uns alle auf den Boden, Frauen und Männer ohne eine Ordnung, und ein paar Rote leiten uns in die Tiefen.

Wir Männer hören von einer Roten:

>>Schließe deine Augen und sei ganz still. Geh tief in deinen Körper,
laß los, was du noch eben warst. Du wanderst durch
deinen Körper und siehst dir alles an – von innen.

Dieses Loslassen – was ist das? Ich erinnere mich an das Baden im Meer, der Körper ist umschlossen vom Wasser, das sich bewegt und den Körper hin und her schaukelt. Ich habe mich ganz in dieses Meer hinein begeben, habe alles Streben und Wollen losgelassen. Jemand erzählte mal, daß er in einem Gebirgsfluß in einen großen Wasserwirbel gesprungen ist, in dem schon viele ertrunken seien – weil sie gegen den Wirbel, der sie nach unten zog, ankämpften. Doch er ließ sich hinunter ziehen und war in Sekunden seitwärts wieder ausgespien und schwamm erstaunt an der Oberfläche, er hatte ganz losgelassen und sich dem Wirbel hingegeben.

Und die Rote leitet uns durch jedes Glied, jedes Organ,
über die Haut und unter die Haut  . . .

>>sieh dein rechtes Knie von innen an, betrachte es und erlebe es.
Nun geh weiter in den Oberschenkel  . . .

>>Nichts gibt es zu tun, nur beobachten, der Körper regt sich nicht,
nur die Wachsamkeit sieht alles an.

Und dann an die Männer:

>>Nun bist Du Frau. Erlebe nun deinen Körper als Frauenkörper.
Manches ist anders, das meiste ist sehr ähnlich wie beim
Mann. Doch manches ist anders. Du bist nun ganz Frau
im Larani-Tempel. Du erlebst deine fraulichen Gefühle.
Du erlebst deinen Schoß, deine Gebärmutter, deine Brüste,
deine helle Stimme, deine weichen Wangen, deine vollen
und roten Lippen, die gierig sind nach der anderen Haut.
Fühle das alles und werde dir ihrer bewußt. Streichle
deine weichen Glieder, deine zarten Gefühle.
Streichle liebevoll deine Brüste und deinen
Schoß, dann weißt du.

>>Du beginnst zu erleben, was du als Frau fühlst, wie Nawain sagt,
erinnere dich:

>>Die Frau hat alles in sich. Innen in der Frau gibt es das Leben dieser
Welt – tief in ihrem Leib schafft und hütet sie neues Leben,
sie erschafft etwas – das kann der Mann nicht.
Sie muß nicht auf vergeblicher Suche umherwandern
sondern sie hat und hütet es in sich, in ihrem Schoß.

>>Da sie nicht aggressiv ist, wird sie nicht die Tiere fangen, töten und
nach Hause verschleppen. Sondern sie wird sich still
hinsetzen und das Leben da draußen in großer Liebe beobachten
und aus dem Beobachteten ihr Bild
von der Natur erschließen.

Die Rote leitet uns weiter:

>>Behutsam nimmst du das Tier von der Wasseroberfläche des Meeres
in deine Hand, träufelst voller Mitgefühl beständig
Wasser über den Tierkörper und setzt es schließlich
wieder ins Wasser. Du hast das Tier angesehen und
dir seine Gestalt, seine Farben und seine Bewegungen
eingeprägt. Vielleicht kannst du es nun malen. Oder es ist so
tief in deiner Seele eingeprägt, daß du sein Aussehen später
dem König weitererzählen wirst.

Tiefer und tiefer geht es:

>>Nun empfindest du dich selbst als das Tier, das aus dem Wasser
genommen wird: gewaltsam nimmt dich ein starkes
Wesen aus deinem Lebensraum, es wird trocken auf deiner
Haut, deine Bewegungen werden schwer  . . .  Doch du
wirst zurückgegeben in dein Meer  . . .

So erleben wir einen Charakterzug als Frau. Das alles ist auch in mir (sonst könnte ich es nicht erleben). Wir bleiben eine Weile still liegen und beobachten weiter unseren Körper und unsere Seele. Dann sagt die Rote zu den Männern:

>>Du erlebst dich als Frau. Als Frau hast du einen inneren Mann. Nun
kommt aber dein innerer Mann und begrüßt dich
als seine Geliebte. Du gibst dich seinen Berührungen
hin, er streicht mit seinen etwas rauhen, warmen und
liebenden Händen über deinen Körper, er streichelt deinen
nackten und hingegebenen Körper, und du machst leichte
wohlige Laute. Voller Dankbarkeit und Liebe gibst du dich hin.

Wirklich, ich bin ganz Frau, ich habe es noch nie so schön bei einer geliebten Frau gesehen, wie ich es nun selbst erlebe. Ganz gebe ich mich hin. Die Rote sagt nichts mehr, lässt alles geschehen. Eine stille, helle und leichte Musik spielt dazu und führt uns tiefer und tiefer in unsere Gefühle. (Fachausdrücke 5: 18)

Wir umarmen uns und spüren unsere nackten und schönen Körper. Ich rieche meine Wollust und seine Wollust, streiche volle Liebe über seine Haut. Voller Freude umarmen und vereinigen wir uns. Lange bleibt die Vereinigung, und sie ist mal still, mal lebendig. Wir sagen uns zwischendurch, „mehr“ oder „jetzt mal ruhiger“. Durch unsere Aufmerksamkeit und Klarheit steuern wir unsere Körper auf einen gleichzeitigen Höhepunkt los – wir lassen nicht nur los, sondern wir halten ganz still und beobachten alles, was geschieht. Wir überlassen unseren Körpern alle Regie und erleben nur, was geschieht. Unsere Körper vibrieren, und ich höre unsere Stimmen. Ich spüre sein Glied tief in mir, ich spüre wie es warm aus ihm in meinen Körper fließt, und ich bin ganz, ganz glücklich, daß mein Geliebter bei mir ist und so tief in mir ist – wir lassen in große Ruhe hinein los, sind vollständig vereinigt, an jeder Stelle unserer Körper und unserer Seelen.

Nach sehr langer Zeit lösen wir unsere Körper wieder. Wir sind beide glücklich über diese Zeit. Leise führt uns die Rote zurück in das, was wir vorher waren: Ich finde wieder in meinen Mann zurück. Die innere Frau zieht sich ein wenig zurück, ich bin ihr dankbar für diese Stunden.

Am nächsten Tag sagt uns Nawain:

>>Ihr habt nun erlebt, was eine Frau ist, was ein Mann ist, indem ihr
sie an euren inneren Frauen und Männern erlebt habt.

>>Viel tiefer innen aber als die innere Frau, als der innere Mann, da
bist DU, da beobachtest und erkennst du alles, was dir
geschieht und was du bist. Dieses tiefe „DU“ ist aber weder
Frau noch Mann, es IST einfach. Wer dieses nicht loslassen
kann, träumt weiterhin den „Traum von Mann
und Frau“, der nun alt und überholt ist.

>>Wenn ihr bald beginnen werdet, die Natur zu erforschen, denkt
daran: die Natur ist eine Frau, sie ist nicht ein Mann. Begegnet
der Natur, wie ihr einer Frau nun begegnen würdet
– oder wie sie es wünscht.

>>Und ihr Männer: seid offen für die Teilhabe von Frauen an euren
Arbeiten, ja macht aus euren Aufgaben als Forscher ein
gemeinsames Unternehmen von Frauen und Männern.
Alle tragen das Ihre dazu bei. Aus dem gemeinsamen
Erleben der Natur werdet ihr schließlich lernen, was
die Natur in Wirklichkeit ist.

>>Ihr Männer, versenkt euch tief in diese Mutter Natur hinein, sie
wird euch einiges erzählen. Und seid zufrieden, wenn ihr
erkennt, daß sie euch nicht alles erzählt. Doch seid nicht
gewalttätig, denn das verträgt sie nicht, sie wird es
euch heimzahlen, wird sich verschließen
oder gar euch verletzen.

>>Und ihr Frauen, benutzt auch ihr die Meßlatte und das klare,
nüchterne Denken der Männer, um der Natur etwas
abzuluchsen, auch dafür ist sie offen, wenn ihr offen
zu ihr seid. Doch glaubt nicht, daß die Männer etwas
Besseres oder Klügeres sind, nur weil sie mit Leichtigkeit
über die Meßlatten und andere Werkzeuge verfügen,
die euch fremd sind.

>>Schließlich werdet ihr dem König einen Bericht geben wollen.
Frauen und Männer sollten getrennt berichten und sich
nicht gegenseitig dreinreden. Der König ist so klug,
daß er verstehen wird, daß die Berichte von Frauen
und Männern verschieden sein müssen. Und er wird
dankbar sein für euren
Mut, beide Wege gelten zu lassen.

Ich lerne: es gibt tatsächlich zwei Wege, kenntnisschaftlich zu arbeiten! Ich hatte nie an so etwas gedacht.

Nun möchte ich noch eine Frau berichten lassen, wie sie die Begegnung mit ihrem inneren Mann erlebt hat:

>>Zuerst war es mir nicht recht, daß die Männer und wir Frauen
im selben Raum lagen. Doch der Rote, der uns anleitete,
führte uns bald so tief, daß ich niemanden mehr fühlte
außer mich selbst und meinen inneren Mann.

>>Dieser innere Mann war ich nun. Ich erfuhr, daß ich nun alles war,
was ich sonst nur zum Teil an Männern mag, ich war nicht nur
der Körper. Sondern ich war auch dieses männliche Denken
und Wissen in diesen lebensarmen und künstlichen Strukturen
– wie es bei den Männern nicht selten ist, so sehe ich das
jedenfalls. Letzteres mag ich oft nicht, und es stört mich, daß
die Männer alles so beurteilen, wie sie es durch ihre
männliche Brille sehen – und sonst anerkennen sie nichts.
Habe ich so erfahren.

>>Doch nun bin ich drin in diesem Körper und versinke immer tiefer
in dieses seltsame Mann-Sein.

>>Da – oh neues Wunder – kommt meine wunderschöne innere Frau
und will mich verführen. Sie hat eine so süße Stimme, daß ich
mich nicht zurückziehen kann, wie ich eigentlich wollte. Sie
verführt mich dazu, über ihre langen weichen Haare zu streichen.
Wir sitzen einander gegenüber und berühren unsere Hände, die
Arme, den Leib, und sie führt meine Hände so, daß ich ihr das
Kleid von den Schultern ziehe.

>>Wie schön diese Schultern, diese Brüste. Ich kann kaum glauben, daß
eine Frau so schön sein kann. Mit zarten Händen streichele
ich sie, und sie gurrt dazu voller Wonne. In ihre Augen sehe
ich, und sie in meine – in vollem Ernst sehen wir einander
an und sind schon jetzt glücklich, daß wir uns treffen. Ich finde
meine innere Frau hinreißend, hätte nie gedacht, daß etwas
so schönes in meiner Seele eine Heimat hat.

>>Sie fragt, darf ich dich ausziehen? Mit zitternden Händen öffnet
sie meinen Kittel und – dazu setze ich mich wieder hin - zieht
ihn über meinen Kopf. Dann die Hose: leicht faßt sie unter den
Gürtel und eröffnet sich den Blick auf mein Unteres,
zieht die Hose über meine Beine herab und streichelt
voller Liebe und Verlangen über meinen Bauch, die Schenkel
und schließlich über meinen Penis,
der auch voller Verlangen ist.

>>Doch es noch viel zu früh. Ich darf ihr Kleid hochziehen, und so setzt
sie sich auf einen meiner haarigen Schenkel und reibt
sich lustvoll an ihm. Schließlich zieht sie sich das Kleid
über den Kopf ab, wir beginnen, uns ganz zu reiben und
voller Erregung zu schreien und zu zittern. Doch noch immer
schlängeln sich unsere Leiber um einander.

>>Ich liege auf dem Rücken, und sie nimmt meinen Penis und
streichelt sich damit ihre Schenkel und die Vagina.
Während ich nach mehr lechze, ja dränge, schiebt
sie mich ein wenig zurück und sagt, „nun erstmal etwas
Ruhe mit uns“ und „wir müssen nicht alles haben, eigentlich
ist dieses doch schon sehr schön, oder?“

>>Denn noch ist ihre Stille nicht gebrochen, noch hat sie nicht ihre
Ekstase erreicht – während ich mich schon längst
hineinfallen lassen könnte.

>>Lange wechseln wir zwischen Begier und Stille. Sie verführt mich
bis kurz vor meine Ekstase, doch dann sagt sie, warte noch
ein wenig – doch sie selbst zittert und windet sich
auf meinem Bauch wie ein Fisch, den jemand an Land
geworfen hat, sie umschlingt meinen Leib mit ihren
weichen Bewegungen, windet sich wie eine Schlange
um mich herum und stöhnt und zittert dabei. So liege
ich still unter ihren Windungen und weiß kaum, wie ich
da noch still halten soll.

>>Schließlich schreit sie JETZT! und reißt wild an mir herum, tief darf
ich nun in sie hineinstoßen, immer noch einmal, es kann
nicht genug sein, ihr Leib umfaßt meinen Penis mit Festigkeit
und Liebe und sie schreit, mehr, mehr – schließlich kann er sich
lösen und ergießt sich tief hinein in Leib und Seele . . . , löst sich auf.
Lange bleiben wir noch so liegen, mein Penis bleibt noch immer fest.
Wieder und wieder zittern unsere Leiber und fallen immer wieder
in wildes Zucken und Winden. Nach langer Zeit werden wir stiller,
liebevoll streicheln wir uns an allen Stellen unserer schönen Körper
– bis wir uns wieder lösen und glücklich in die Augen sehen.

>>Der Rote führt uns sacht zurück in das Leben, das wir eigentlich
sind – ich finde mich wieder als die Frau vom Bauernhof auf den
Silbernen Feldern, die einen klareren Begriff von sich
selbst bekommen will. Und er schlüpft zurück in die inneren
Gemächer meiner Seele, von wo er seitdem immer wieder
lustig herausschaut und fragt, wollen wir mal wieder?


Zum Ende dieser vielen Tage im Zantrani feiern wir ein Fest. Eine besondere Musik-Gruppe wurde geholt, und wir feiern die ganze Nacht – bis die Sonne die weißen Spitzen des Alan Glazinian {Ered Nimrais} mit ihren Strahlen rosa beglüht und schließlich hinter den Wäldern des Berges aufgeht. Dieses Licht ist unser Symbol der wachen Stille, der Erfahrungen und der Liebe. Hingegeben begrüßen wir diese wundervolle Sonne und tanzen den abschließenden Tanz voller Freude – auch voller Trauer, daß diese Zeit nun vorüber ist, mit nassen Augen des Abschieds.

Nawain ruft alle zu einem letzten Treffen zusammen. Es hat sich gezeigt, daß zwei Gruppen von Menschen aus diesem Kurs hervorgehen: solche, die wieder fortgehen und an anderer Stelle ihrem Tun nachgehen werden – wie wir –, und solche, die hier bleiben und den eigenen Weg zur Priesterin, zum Priester gehen wollen. Allen gibt Nawain eine lange orange Robe als Kleidung zu besonderen Anlässen: wenn wir uns treffen wollen zum Feiern oder zur Stille. Auch bekommen wir eine hölzerne Halskette wie die Roten sie tragen, in einem Medallion ist ein schönes Bild von ihr. Die Leute, die hier bleiben finden am unteren Ende der Halskette noch eine Opal-Perle als Zeichen, daß sie diesen Weg weiter gehen wollen.

Jeder und jedem legt sie die Halzkette um, eine Hand auf den Kopf und sagt einen Segensspruch. Wieder fließen mir die Tränen, voller Liebe, voller Karúm. Ich stehe auf, drehe mich um und gehe schweigend aus dem Saal  . . .




ψ

KAPPA 1.4. Bei den Pavinen und den Ghân

Versunken in unsere Freude und Trauer wandern wir fünf „Forscher” nun nordwärts auf der Hochebene des Alan Pavani entlang. Wir besuchen noch Tempel und treffen auf schöne Menschen, die uns manches mitteilen.

Ein neuer Tempel wird gebaut. Erst nur ist das Loch für das tiefe Fundament gegraben und in den Fels gehauen, nach geomantischen Regeln und Vermessungen ist es angelegt. Um das folgende Bild zu zeichnen, bin ich auf einen der Tempeltürme geklettert. So ein Turm ist ja wie eine Verbindung in die Unendlichkeit, und ich merke, wie es an mir saugt, nach oben so zu sagen. Glücklicherweise kann ich nicht die absolute Spitze erklettern, denn ganz oben wäre der Sog vielleicht zu stark gewesen  . . .


- Bild B 14) -
Neubau eines Tempels, das Fundament, geomantische Vermessungen.


Einige Wanderer empfehlen uns, später das Alan Pavani nicht nach Nordosten zu verlassen, dort gäbe es schwer zu durchquerende Sümpfe, sondern nach Osten. Andere meinen, wir sollten anschließend ins Alan Glazinian hinaufklettern und dann auf der Hochebene der Ghân süd-ostwärts nach Ekro Krinath wandern, das sei die Mühe wert. Die Ghân seien ein interessantes Volk.

Wir entschließen uns durch das Ghân-Land zu laufen, doch vorher besuchen wir das Gebirgs-Vorland (das Vorland des Alan Glazinian, Kuranian) der Pavinen und ihre dortige Kultur. Hier bauen sie nicht nur Gemüse – Bohnen und Tomaten – an sondern auch Wein, und viele hellgraue Kühe geben eine Milch für einen besonders guten Käse, der mit dem pavinischen Wein genossen werden sollte. Auch backen sie ein würziges, dunkles Brot, das als Begleitung für den eher weich-fruchtigen Wein vielleicht zu kräftig ist. Den pavinischen Wein empfinden wir als „gut und edel“, wie Gondas sagt. Der Käse aber steht zwischen beiden und kann sowohl mit dem Brot als auch – vorsichtig – mit dem Wein zusammen gegessen werden, er ist nämlich von weichem und zahmem Geschmack, viel leichter als der aus den Landen jenseits des Geroner, jenseits von Ekro Krinath {Minas Tirith}, wo in alter Zeit das Land des „Herrn der Ringe“, des Schwarzen Fürsten Rou-undt {Sauron bei TOLKIEN}, lag.

Ich vermute, daß der Käse von dort auf blutgetränktem Boden wächst und deswegen so herbe und sauer schmeckt.

Die pavinischen Männer sind anders als wir im Osten. Schon an ihrer Kleidung kann ich sehen, daß sie keinen Bedarf haben, sich gegenüber den Frauen als Männer hervor zu heben. Frauen und Männer tragen nahezu gleiche Kleidung: knielange Kittel und Kutten aus dunkelblau gefärbter Schafswolle. Und beide haben eine wilde Freude daran, ihren Körper mit bunten Tüchern und Bändern zu schmücken, alle tragen bunte Steine und Blumen im Haar und an der Kleidung.

- Bild B 15) -
ein Pavinen-Haus im Vorgebirgs-Bereich des nördlichen Pavion.


Ja – wilde Freude: viel tanzen diese Menschen, sie singen, doch verlieren sie sich dabei nicht, immer haben sie alles im Blick. Oft sehe ich ein Paar oder mehr Leute am Straßenrand sitzen und sich umarmen, ja sie berühren einander die Körper, wobei sie einander die Kleidung beiseite streifen – wahrlich ein sorgloses und fröhliches Volk. Mir scheint, mit dieser Lebensweise hängt es zusammen, daß die Pavinen einen seelisch so gesunden Eindruck machen. Zusammen mit den Ghân sind sie Musterbeispiele für unsere Fachschulen der Heilenden Disziplinen. Wie ich höre, bitten unsere Professoren immer wieder Pavinen, nach Ekro Krinath zu kommen, um von ihrer freien Art zu berichten und sie vorzuleben. Einige von ihnen studieren bei uns, jedoch „Freie Lebenskunde“ brauchen sie nicht zu studieren, da sind sie alle erfahrener als unsere Professoren.

Trotz der Eile, die wir verspüren, bleiben wir einige Wochen im Pavion, wir wandern einfach von Dorf zu Dorf und zu den einzeln stehenden Höfen und Weilern und lassen uns weit in die Seele der Pavinen hineintreiben.

Schon tief im Alan Glazinian, die Hänge steilen dicht und schroff an beiden Seiten des Tales, und weit hinten am Ende des Tales strecken sich bereits die riesigen Eisspitzen, die für den Namen des Gebirges stehen. Wir treffen einen Jüngling, der am Weg sitzt und mit seiner hellen Stimme gelassen singt, dabei laufen Tränen über seine weichen Wangen. Wir setzen uns und warten bis er still wird. Er öffnet seine weichen und feuchten Augen und sieht uns gelassen an, von Gesicht zu Gesicht. Dann steht er auf und bittet uns mit einer Hand, ihm in den Wald zu folgen – der doch an einem steilen Felshang liegt. Zwischen den alten Tannen öffnet sich aber ein sehr enges Tal, kaum so weit, daß wir einzeln durchgehen können. Ein Bach fließt dort auch, in dessen Wasser wir gehen.

Nach langer Zeit öffnet sich das Tal, und vor uns liegt eine große Waldwiese zwischen den Hängen. Ganz hinten fließt ein Wasserfall am Fels hinunter, er stürzt nicht, er fließt so leise, daß wir nichts hören. Auf der Wiese steht unter einem großen Morin-Baum eine ovale Hütte, die aus Bastfasern gebaut ist, die von einem Gestell herab hängen. Der Junge macht innen ein Feuer und lässt uns herein (Fachausdrücke 5: 63). Der Stamm des Morin-Baumes steht in dem einen Brennpunkt des Ovals, und das Feuer flackert im anderen Brennpunkt.

Noch immer ist der Junge still, wir auch, vor Verwunderung und Ehrfurcht sind wir still und betrachten ihn und seine Umgebung. Auch er trägt ein knielanges dunkelblaues Kleid der Pavinen, doch er ist wohl ein Ghân, einer aus dem Volk, das oben im Glazinian wohnt, seine etwas schräg gestellten Augen zeigen es.

Nichts ist zu sagen. Ohne zu sprechen nehme ich das hier sehr wach auf. Doch ich presse das Gesehene nicht in bereits vorhandene Vorstellungen, sondern ich eröffne mal wieder ein neues Kapitel in meinem Geist – wie schon so oft auf dieser wunderlichen Reise.

Auf der Wiese stehen seine Tiere, eine kleine Art von Hirschen, von denen er sich etwas Milch holt, das ist alles. Sonst ißt er von den Gemüsen und Kräutern die er sich an verstreuten Stellen im Tal anpflanzt. Wir bekommen eine Gemüsesuppe in Holzschalen, die wir mit Hilfe von ein paar trockenen Zweigen, die von Waldbäumen herabgefallen sind, essen und trinken. Der Einsiedler summt vor dem Essen hell eine kleine Melodie, ich sehe versonnen in meine Suppe, mein Geist verschwimmt, und erkenne in der Suppe ein Bild, das ich vorher nicht sah:

>>Der Wasserfall fließt da wieder, ganz sacht gleitet das Wasser am
Felsen entlang ins Tal. Das Wasser wird ganz durchsichtig,
und hinter dem Fall ist eine Höhle, in der ein alter Mann sitzt.
Ich denke, ein Einsiedler, der ganz weise und unberührt nur
sich selbst lebt. Hinter ihm ist die Höhle hell
erleuchtet als wenn die Sonne von oben hineinscheint.
Der Mann steht auf und beginnt zu tanzen, und wie
er so hingegeben tanzt, verwandelt er sich immer
mehr in den Jüngling, der unser Gastgeber ist.
Das Licht in der Höhle wird immer heller, und es
hat auch bunte Strahlen, die das Gesicht des
Jünglings streifen und bunt machen. Über seinen
weichen Wangen glänzt es und ich sehe, es sind
seine Tränen, die von den Strahlen in
Kristalle verwandelt werden, Kristalle, die
wie Wasser fließen und gleichzeitig als Kristalle
herabtropfen. Bald ist sein ganzer nackter
Körper mit diesen Kristallen bedeckt, der ganze
Jüngling wird zum Innern der Kristallhöhle,
die sich nun auftut. Sein kristallener Körper erfüllt die
Höhle, er ist die Höhle. Außer seiner Hand und seinen
klaren Augen sehe ich nichts mehr von ihm, die
Hand winkt mir, näher zu kommen. Und die Augen
sind das Tor zu einer tiefen Welt, zu mir selbst, ich
sehe mich selbst in diesen Augen. Das ist das Ziel. Hier
bleibe ich lange Zeit – es ist still innen und außen.
Lange ist es still – bis langsam das Rauschen der
Tannen in meinem Bewußtsein auftaucht
und mich zurückholt – mit dem Blick in die Suppenschale.
Fröhlich und glücklich muß ich auflachen ...

Es ist schon tiefe Nacht, und das Feuer flackert, unsere Gruppe sitzt da und wundert sich über mein Lachen. Der junge Mann weist uns Plätze und Decken zum Schlafen, und wie wir morgens aufwachen, liegen wir in Heu gehüllt auf der Wiese vor dem Wald, in der Nähe der Straße ins Alan Glazinian. Alle hatten wir ähnliche Erlebnisse in dieser Nacht, jeder nach der eigenen Art. Wir beginnen aber nicht, das Erlebte zu diskutieren sondern lassen es als ein Erlebnis so stehen. Das war wohl der Abschied vom Pavion und der Eingang ins Ghân-Land. Eine Art Gruß durch den klaren Jungen.


Bild - B 16) -
der Weg der Hirten ins Gebirge, vorne Maronen-Bäume,
in der linken Ecke Blätter und Blüten der Maronen. Hinten Fichtenwälder, hinten ein Gletscher ...



Versonnen wandern wir die Täler ins Alan hinauf, wir haben noch einige ganz besondere Erlebnisse mit dem Hochgebirge und diesem eigenartigen Volk der Ghân, doch ihre Kultur wurde bereits in dem fast vierhundert Jahre alten Buch von Marthén ausführlich beschrieben, von dem sich eine Abschrift in der Bücherei der Seefahrerschule in Abyssál befindet, und das Gonfalas, der Sohn des alten Gondas, gelesen hatte (seht auch hier: http://ghaninrohaneins.blogspot.com/ ). Gonfalas weiß also einiges über diese Leute und gibt uns Bericht. Doch, oben in der Hochebene der Gân angekommen eilen wir schnell südostwärts nach Ekro Krinath, um von da aus bald weiter nach Abyssál zu reisen, denn es drängt uns, nun mit unseren Forschungen zu beginnen – es ist uns nur noch nicht ganz klar, wie.

Das Steigen über das Alan Glazinian ist recht schwierig, doch einfacher als der Weg durch die schlammigen Schilfwälder, die wir nun ja umgehen. Hinter den Pässen geht es in schroffen Schluchten abwärts zu den Ghân-Dörfern. Immer wieder treffen wir Schafs- und Ziegenherden, die Hunde knurren uns wild an, und damit nichts Unangenehmes geschieht, drücken wir uns still in Felsnischen bis sie vorüber sind. Gelegentlich nächtigen wir bei den Hirten, und wir lernen etwas mehr über die Ghân.

Die Ghân pflegen keinen Glauben, nicht an Götter oder sonst was, sondern sie bekennen sich zu der Lehre eines Meisters, der ein wahrer Bilderstürmer gewesen sein muß – doch das sei schon lange her. Dieser Ullam, wie sie ihn nennen, versuchte den Menschen zu helfen, wirklich ganz frei zu sein. Er versuchte ihnen zu helfen, sich NICHT aus Bequemlichkeit an Muster des Denkens und Fühlens zu klammern, die nicht aus den eigenen Erfahrungen stammen sondern von anderen Menschen. Ich will mich mehr damit beschäftigen und das Buch von Marthén als Erstes lesen. Gonfalas sagte aber, es sei schwer zu lesen, und ich solle mir Zeit lassen. Vielleicht kann uns dieser Ullam auch bei unseren Forschungen helfen, denn der König verlangte ja, daß wir ganz frei an diese Sache herangingen. Deswegen sollen wir die stille Versenkung in die Mitte unseres Lebens stellen – eben wegen dieser Klarheit des Denkens.

Das Alan Glazinian ist magisch, kristallen zauberhaft. Steil und felsig und spitz ragen die Eis- und Schneeberge am Südhang des Glazinian empor. Und innen im Gebirgsland sind ebensolche kristallinen Schluchten, in denen sich die Schmelzwasser herabstürzen, und zwischen die die schmalen Pfade gezwängt wurden, schon vor sehr alter Zeit.

- Bild B 17) -
Schlucht im Glazinian, von Marthén vor 400 Jahren gezeichnet,
es sieht dort noch immer so aus.


Zuerst aber steigen wir – noch im Pavian – in einem flachen, langen und immer enger werdenden Tal tief zwischen die Bergwände nordwärts hinauf. An den Hängen stehen erst Weinfelder, dann Maronenwälder, dann kommen wir an die dunklen und duftenden Tannenwälder, die noch so sind wie sie immer waren, seit Menschengedenken, sie haben nie den Schmerz von Säge oder Axt gespürt. Wilde Reißwässer stürzen sich die Hänge hinab und vereinigen sich mit den Flüssen an der Talsohle. Noch ist die Sohle von Wiesen und Weiden bedeckt, die die Pavinen vor Urzeiten angelegt haben um für ihr Vieh die würzigen Gräser und Kräuter zu bekommen – doch werden diese hellgrünen Flecken seltener, je weiter wir ins Glazinian vordringen. Statt der Kühe stehen auf den Wiesen oft Hirsche und andere Tiere des Waldes.

Wie die Pavinen, so töten auch die Ghân diese Tiere nicht. Beide Völker benötigen aber eine strenge Polizei-Truppe, die Jäger aus anderen Völkern von der Jagd abhalten muß. Bei diesen Völkern ist die Schönheit des Lebens so wertvoll, daß sie bewahrt werden muß. Während die Reichs-Ministerien in Ekro Krinath die Tiere schützen, um zur Gewinnung an Fleisch, auch an kenntnisschaftlichen Informationen Vorrat für spätere Aktivitäten zu haben, ist diesen Völkern das Tierleben selbst heilig und liebenswert. Mir scheint, auch dies ist eine Lehre für unsere geplanten Forschungen.

Nicht mehr weit von den Eishängen des Glazinian rasten wir ein paar Tage auf einer weiten Wiese in einem Tal, und erleben einen lauwarmen Wasserfall – ähnlich dem hinter der Hütte des Jungen neulich, leise fließend. Es gibt hier eine neue Botschaft, eine neue Lehre für uns, jedenfalls für mich. Nackt gehe ich zum Fall und lasse das Wasser über mich rieseln, es ist wärmer als wir erwarten, und ich möchte dieses Wasser immer über meine Haut rieseln lassen, nie endend, möchte hier stehen bleiben. Mein Körper wird wie eine lebendige Landschaft, im Stehen unter dem rieselnden Wasser kommt mir wieder ein Bild:

>>... mein Körper ist grün, – mal heller, mal dunkler, und dazwischen
stehen dunkle Tannen. Da stehen und liegen Menschen,
nackt wie die Tiere, ohne ihre blauen Kittel. Und da
stehen kleine Hirsche, sie lecken die Menschen und diese
streicheln die Tiere, leichtes Massieren. Ich höre Vögel
in den Bäumen, Tauben gurren und Eulen schnarren.
Pirole rufen ihre melodischen Gesänge. Alles ist auf meiner
Haut, etwas unheimlich und auch belehrend.
Da möchte ich bleiben, mich hingeben, aber  . . .

. . .  na ja, wir wollen ja weiter gehen, und da nehme ich nur mein langes Pavinen-Hemd und hänge es mir über, einen Gürtel, und die Wanderschuhe, und die langen Wanderstrümpfe über die Beine, sonst nichts. Die Haut ist mein Empfinden, DAS ist mein Körper, die Liebe zu meinem eigenen Körper. Nun ist dieses die neue Art, mich zu empfinden, und, ja, das Leben so zu empfinden, die ganze Existenz so zu empfinden – eins mit meinem Körper, mein Körper ist verschmolzen mit der ganzen Existenz.

Nach diesen Erkenntnissen an der Grenze zum Ghân-Land steigen wir weiter ins Gebirge hoch. Das Tal ist lang und wird immer unwirtlicher. Noch immer sind die Wege schwierig, doch nicht mehr so wie Marthén sie beschrieben hatte: vor 400 Jahren war eben vieles noch viel einfacher also heute. Die stabile und lange Friedenszeit hat es möglich gemacht, die Straßen und Wege zu verbessern und selbst hier im Gebirge auszubauen – es ist ein großes Anliegen der Könige von Krinaniath, die Verkehrsnetze des Reiches immer mehr zu vervollkommnen. Der Weg vom Gebirge hinab ins Land der Ghân führt nun nicht mehr durch die steile Klamm, die Marthén so eindrucksvoll beschrieben und gezeichnet hat, sondern sie schlängelt sich in weiten Bögen an den nordöstlichen Hängen des Alan Glazinian hinab.






ψ

KAPPA 1.5 Unser Weg zurück nach Abyssál


An vielen Stellen seitlich dieser Straße weiden Schafe und Ziegen. Die Ghân aber scheinen noch so zu sein wie ehemals: in ihrer eigenartig leichten Kleidung und mit ihrer scheuen Gastfreundlichkeit und Fröhlichkeit sind sie uns fremd und auch nahe. Wir bleiben ein paar Wochen in ihrer Nähe und studieren ihre Lehre der Freiheit, was ja eigentlich Ullam´s Lehre ist. Ullam sagt, sei so frei wie du warst als du geboren wurdest. Und wenn etwas dich eingeschränkt hat oder du eingeschränkt wurdest, wirf es wieder ab.

Noch im Hochgebirge treffen wir am Wegrand auf eine Marke, eine Sonne mit einem Pfeil darunter, eingeritzt in den Fels. Der Pfeil weist seitwärts auf einen schmalen Saumpfad, der bald hoch über einer tiefen Schlucht am Fels entlangführt. Neugierig und vorsichtig gehen wir den Pfand entlang und kommen schließlich an eine Stelle, die breiter ist. Hier beginnt der Eingang zu einer Höhle, die von ein paar Zwergen bewacht wird. Sie sitzen auf einer Bank vor dem Eingang, und wir setzen uns dazu. Still sitzen wir da und blicken in die Schlucht und über den nächsten Berg ins Tal der Ghân.

Gondas weiß bescheid, denn in Marthén´s Buch steht beschrieben, was hier ist.

Nach langer Zeit bringt uns ein Zwerg ein warmes Getränk zum Willkomm. Man lädt uns ein, und wir betreten die Höhle, die eine riesige Halle darstellt. Es ist einer der Orte, an denen die Zwerge Kristalle und Metallerze schürfen. Tief gehen die Systeme der Gänge in den Berg hinein, und wie wir von unseren Begegnungen mit den Zwergen vom Alan Kala-Ben erzählen und von unserer Fahrt mit den Eisenwagen, sagt einer, hier tief unten im Fels ist erstmal das Ende dieser Bahn. „Von hier aus könntet ihr wieder zurück fahren. Doch wir sind dabei, sie weiter zum Nebelgebirge hin zu führen, denn dort sind unsere größten Werke.“

Wir besichtigen die Erz- und Kristall-Lagerstätten und den Abbau. Wir hören, daß die Zwerge sehr vorsichtig abbauen, damit sie auch in Zukunft noch Erze und Kristalle vorfinden werden, und überhaupt sei es von grober Unhöflichkeit dem Berg gegenüber, einfach alles raus zu reißen. Der Abraum wird vorsichtig behandelt und an den Berg in liebevoller Weise zurückgegeben.

Weiter geht unsere Fahrt abwärts ins eigentliche Ghân-Land, in die Hochebene.

Bei den Ghân wollen wir uns nicht länger aufhalten, denn wir sehnen uns zurück nach Abyssál. Wir sehnen uns danach, endlich das im Leben anzuwenden, was wir erfahren haben auf unserer Reise, die nun schon länger als ein Jahr dauert. Doch es kommt etwas hinein, das wir nicht erwartet hatten: Pariman, unser Denker, ist eines Morgens nicht bei uns, nachdem wir in der Nähe eines Ghân-Dorfes geschlafen hatten. Den ganzen Tag warten wir bis er schließlich ankommt, zusammen mit einer jungen Ghân-Frau. Er sagt, er möchte hier bleiben, die Frau und er hätten sich verliebt und möchten nun immer zusammen leben. Zuerst lachen wir ein wenig, doch wie beide es ernst meinen, erregen wir uns sehr. Wie soll es nun weiter gehen?

Vier Tage warten wir an dieser Stelle, wie es weiter gehen wird. Pariman geht weg ins Dorf und kommt wieder, immer hin und her, er weiß nicht, wie er sein Leben nun gestalten will. Seine Freundin ist manchmal mit ihm, manchmal bleibt sie weg. Wir nennen sie schließlich – denn die Ghân geben sich keine Namen – Masna. Das heißt in ihrer Sprache, die Neue. Sie spricht ein wenig unsere Sprache, und Pariman beginnt, die Ghân-Sprache von Masna zu lernen. Später wird es sich als sehr schön herausstellen, daß die beiden uns in Kontakten mit den Ghân übersetzen. Doch noch wissen wir nicht, ob Masna ein Gewinn oder eine Behinderung für unsere Gruppe ist. Sobald Masna ein wenig verstanden hat, was das Anliegen unserer Gruppe ist, führt sie uns zu einigen Ghân, die gerne über uns hören möchten, und die uns später durch ihre Kenntnisse der Lehren ihres Meisters Ullam manches erklären, was wir bei den Forschungen nicht verstehen.

Nach 30 Tagen gehen wir endlich weiter hinab nach Ekro Krinath, der Hauptstadt. Wir haben uns vorgenommen, hier ein paar Tage zu bleiben, um der Königin und dem König zu berichten und weitere Anweisungen zu erhalten. Doch die Zeit in Ekro Krinath wird viel umfangreicher als gedacht.




In den folgenden Blogs findet ihr die Fortsetzungen, so weit sie schon bestehen:´
402 – http://geroner-zwei.blogspot.com/
403 – http://geroner-drei.blogspot.com/
404 – http://geroner-vier.blogspot.com/
405 – http://geroner-fuenf.blogspot.com/




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